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Stimmen der Angst

Stimmen der Angst

Titel: Stimmen der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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dem Kinn zu kratzen und hinter den Ohren zu kraulen, und er bedankte sich mit feuchten Hundeküssen und begeistertem Schwanzgewedel.
    Hätte er die Wahl gehabt, wäre Dusty viel lieber hier auf dem Boden sitzen geblieben und hätte sich für den Rest des Tages mit Valet vergnügt. Abgesehen von Skeets Umarmung – autsch, autsch, autsch! –, war die Begrüßung des Hundes der erste wahre und aufrichtige Moment, den er erlebte, seit er an der Haustür geklingelt hatte.
    Lampton, der schon ein Stück vorausgegangen war, klopfte an eine Tür. Ungeduldig drehte er sich zu Dusty und Martie um. »Na, kommt schon.«
    Claudette und Skeet verschwanden in dem Zimmer, das der Tür gegenüberlag: Lamptons Arbeitszimmer.
    Dusty hatte zwar nichts davon gehört, dass jemand auf das Klopfen reagiert hätte, aber Lampton öffnete die Tür auch ohne Aufforderung und trat, als Dusty und Martie bei ihm waren, über die Schwelle. Die beiden folgten ihm.
    Das Zimmer, in dem sie standen, gehörte Junior. Dusty hatte es das letzte Mal betreten, als Derek Lampton junior elf Jahre alt gewesen war, also vor ungefähr vier Jahren. Damals hatten Motive aus der Welt des Sports das Bild beherrscht. Überall Poster von Baseball- und Fußballstars.
    Jetzt waren Decke und Wände in einem glänzenden Schwarz gestrichen, das das Licht absorbierte, sodass es im Raum trotz der mindestens dreihundert Watt, auf die sich die eingeschalteten Lampen summierten, düster wirkte. Das Kopfteil des Stahlrohrbetts war schwarz, ebenso das Laken und die Kissen- und Deckenbezüge. Selbst die Ahorndielen, die im ganzen übrigen Haus mit ihrem natürlichen Holzschimmer so schön aussahen, waren hier schwarz gestrichen. Die einzigen Farbtupfer im Raum waren die Buchrücken auf den schwarzen Regalen und zwei große Fahnen, die an die Decke geheftet waren: das Hakenkreuz in weißem Kreis auf rotem Grund, das Adolf Hitler am liebsten rund um den ganzen Globus aufgepflanzt hätte, und das Hammer-und-Sichel-Emblem der einstigen Sowjetunion. Vier Jahre zuvor hatten sich in den Regalen Bücher über die Geschichte des Sports, Sportlerbiografien, Anleitungen zum Bogenschießen und Science-Fiction-Romane aneinandergereiht. An ihrer Stelle sah man jetzt Bücher über Dachau, Auschwitz, Buchenwald, die Lager des sowjetischen Gulag, den Ku-Klux-Klan, Jack the Ripper, ein paar zeitgenössische Serienmörder und den einen oder anderen wahnsinnigen Bombenattentäter.
    Junior selbst trug weiße Turnschuhe, weiße Socken, eine khakifarbene Fliegeruniformhose und ein weißes T-Shirt. Er lag auf dem Bett und las in einem Buch, auf dessen Umschlag ein Berg verwesender Leichen abgebildet war, und weil der Kontrast zwischen seiner hellen Kleidung und den schwarzen Satinbezügen so scharf war, sah es aus, als würde er wie ein Yogi über dem Bett schweben.
    »Hallo, Kleiner, wie geht’s dir?«, sagte Dusty verlegen. Da Junior erst drei Jahre alt gewesen war, als Dusty vor annähernd zwölf Jahren fluchtartig das Haus verlassen hatte, war ihm sein Halbbruder derart fremd, dass er nie wusste, wie er sich ihm gegenüber verhalten sollte.
    »Sehe ich aus, als wäre ich schon gestorben?«, sagte Junior mürrisch.
    Der Junge war im Gegenteil das blühende Leben, er schien fast zu lebendig für diese Welt, er strahlte geradezu, als würde er aus einer übernatürlichen Energiequelle, aus einer Steckdose im Jenseits mit Starkstrom gespeist. Nichts an ihm erinnerte an das iltisartige Äußere, das seinem aalglatten Vater anhaftete; das Schicksal hatte es gut mit ihm gemeint und ihn verschwenderisch mit den Erbanlagen seiner Mutter ausgestattet, hatte ihn mit einer so vollendeten Figur und so wohlgeformten Zügen beglückt, wie es keinem ihrer anderen Kinder vergönnt war. Sollte er eines Tages beschließen, auf die Bühne zu steigen, ein Mikrofon zur Hand zu nehmen und zu singen, würde er, gleichgültig, ob seine Stimme gut oder nur passabel war, größere Triumphe feiern als Elvis, die Beatles und Ricky Martin zusammen, und junge Frauen und junge Männer würden unterschiedslos schluchzend und kreischend die Bühne stürmen und wahrscheinlich selig sein, wenn sie sich für ihn die Pulsadern aufschneiden und ihm damit ein Blutopfer darbringen durften.
    »Was hat das zu bedeuten?«, fragte Dusty verwundert und deutete mit weit ausholender Geste auf die schwarzen Wände und die Flaggen an der Decke.
    »Wonach sieht es deiner Meinung nach denn aus?«, sagte Junior

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