Stimmen der Angst
Ort. Dort wurden unzählige scharfkantige Werkzeuge, tödliche Elektrogeräte, giftige und brennbare Substanzen aufbewahrt.
Sie blieb am besten hier in der Küche, um auf ihn zu warten. Solange sie nicht dort draußen war, wenn er kam, würde ihm in der Garage nichts zustoßen. Scharfkantige Werkzeuge, Giftstoffe, brennbare Flüssigkeiten – von ihnen ging an sich keine Gefahr aus. Martie selbst war die eigentliche, die einzige Gefahr.
Von der Garage würde er auf direktem Weg in die Küche kommen. Sie musste ganz sichergehen, dass sie alles daraus entfernt hatte, was als Waffe benutzt werden konnte.
Aber dieser Feldzug gegen alles, was scharf, stumpf und schwer oder aber giftig sein konnte, war der helle Wahnsinn. Sie würde Dusty niemals etwas zuleide tun. Sie liebte ihn mehr als ihr Leben. Sie würde ihr Leben für ihn geben, genau wie er das seine für sie. Man brachte einen Menschen nicht um, den man so sehr liebte.
Und doch drang diese irrationale Angst wie ein giftiger Keim in sie ein, wurde durch ihre Adern geschwemmt, brütete in ihrem Mark, schlich sich wie ein tödlicher Bazillus in ihre Gedanken, und sie fühlte sich von Sekunde zu Sekunde elender.
24. Kapitel
Skeet saß mit einem Berg Kissen im Rücken im Bett. So totenbleich er auch war und obwohl seine Augen tief in den Höhlen lagen und seine Lippen eher grau als rosig wirkten, strahlte er doch eine zerbrechliche, tragische Würde aus, als gehörte er nicht zu den Heerscharen verlorener Seelen, die durch die Trümmer dieser verlorenen Kultur geisterten, sondern als wäre er ein an Schwindsucht erkrankter Dichter, der in jenen vergangenen Zeiten lebte, als die Welt noch unschuldiger war als in unserem gegenwärtigen Jahrhundert, ein Dichter vielleicht, der in einem vornehmen Lungensanatorium von seiner Tuberkulose genas, der nicht gegen die eigene Sucht und die kalte und lebensfeindliche Weltsicht seines Jahrhunderts anzukämpfen hatte, sondern lediglich gegen den Widerstand hartnäckiger Bakterien. Quer über seinen Oberschenkeln stand ein Tablett auf Füßen.
Dusty sah aus dem Fenster, als würde er eingehend den nächtlichen Himmel studieren, um aus den Formationen der langsam weiterziehenden Sturmwolken sein Schicksal abzulesen. Die Bugspitzen und Kiele der ostwärts treibenden Wolkenschiffe waren im Widerschein des vorstädtischen Lichtermeers, über dem sie dahinsegelten, wie mit filigranem Blattgold belegt.
In Wirklichkeit verwandelte die Nacht die Fensterscheibe in einen schwarzen Spiegel, in dem Dusty die schattenhafte Gestalt seines Bruders beobachtete. Auf diese Weise glaubte er, eher zu merken, wenn Skeet irgendetwas Seltsames und Aufschlussreiches tat, als wenn dieser sich beobachtet fühlte.
Seine Erwartung erschien ihm selbst paranoid, aber sie hing wie eine Klette an ihm und ließ sich nicht abschütteln. Dieser eigenartige Tag hatte ihn in ein Dickicht des Misstrauens gestürzt, das ungreifbar und gegenstandslos, darum aber nicht weniger beängstigend war.
Skeet ließ sich ein frühes Abendessen schmecken: Tomatensuppe mit frischem Basilikum und grob geraspeltem Parmesan, danach Hähnchen in Knoblauch und Rosmarin mit Röstkartoffeln und Spargel. Das Essen im New Life war nicht mit der üblichen Krankenhauskost zu vergleichen – wenn auch das Fleisch in mundgerechte Stucke zerschnitten serviert wurde, weil Skeet als selbstmordgefährdeter Patient galt.
Valet saß mit hochgerecktem Kopf im Sessel und beobachtete Skeet mit dem aufmerksamen Interesse eines Feinschmekkers. Weil er jedoch ein wohlerzogener Hund war, machte er keine Anstalten zu betteln, obwohl sein eigenes Abendessen längst überfällig war.
Mit vollem Mund sagte Skeet: »So viel habe ich seit Wochen nicht gegessen. Es scheint einem unheimlich Appetit zu machen, wenn man sich vom Dach stürzt.«
Der Junge war so klapperdürr, als hätte er Bulimieunterricht bei einem Supermodel genommen. So geschrumpft, wie sein Magen sein musste, war es kaum zu glauben, welche Mengen er verdrücken konnte.
Dusty, der immer noch so tat, als würde er in den Wolken eine Bedeutung suchen, sagte wie beiläufig: »Vorhin sah es so aus, als wärst du eingeschlafen, weil ich es dir gesagt habe.«
»Ehrlich? Tja, es brechen neue Zeiten an, Bruder. Von heute an tue ich alles, was du sagst.«
»Wer’s glaubt.«
»Du wirst schon sehen.«
Dusty fuhr mit der rechten Hand in seine Jeanstasche und tastete nach den zusammengefalteten Notizzetteln, die er in Skeets Küche gefunden
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