Stimmen in der Nacht - Brodie, L: Stimmen in der Nacht
Füßen in jener Nacht gefährlich gewesen war. Emma war doch vielmehr die Gefährliche, die Frau, die den Baseballschläger umklammert hielt und rasend war vor Adrenalin.
Vor der Fliegengittertür hatte Sandra McCluskey »Oh Gott, oh Gott« gekeucht, und die Worte waren verschmolzen mit Emmas Gedanken: Oh Gott, was habe ich getan? Sie ließ den Baseballschläger los, kniete sich neben Jacob und streckte eine Hand aus, um ihm das lange braune Haar aus dem Gesicht zu streichen. Dann war ihre Hand ganz warm und rot von dem Blut, das in einem dünnen Rinnsal Jacobs Hals hinunterlief, und sie wusste noch, dass sie dachte, es sieht aus wie ein rotes Walkman-Kabel, so als wäre die scharlachrote Blase in seinem Ohr nur ein leuchtender Ohrstöpsel. Emma erhob sich und schwankte plötzlich, stützte sich mit der rechten Hand an der Flurkonsole ab, bis ihr Blick wieder fest war. Ihre Hand hinterließ einen rötlich braunen Fleck auf dem Holz.
In der Küche griff sie nach dem Telefon.
»Wir brauchen einen Krankenwagen, sofort, in der Wade’s Creek Road 1634. Es war ein Unfall … Ein College-Student. Er wurde mit einem Baseballschläger am Kopf getroffen. Ein Schläger … Am Kopf … Nein, er ist bewusstlos … Ich muss die Blutung stoppen … Schnell … Ja, Wade’s Creek Road 1634 … Ich muss die Blutung stoppen … Nein.« Sie legte auf, riss die zwei Geschirrhandtücher vom Griff ihres Backofens und rannte dann zurück zu Jacob, dessen Blut sich in einem blumenkohlartigen Fleck auf dem beigefarbenen Perserläufer ausbreitete. Sanft hob sie seinen Kopf, legte ihn auf ihren Schoß, ein Geschirrhandtuch fest an jedes Ohr gepresst, und dachte immer nur:
Bitte, lieber Gott, lass ihn nicht sterben. Lass ihn nicht sterben.
Als sie aufblickte, sah sie Kyle vor der Fliegengittertür stehen, der starrte, wie er immer starrte, aber diesmal in fasziniertem Schrecken und wie hypnotisiert von dem Anblick von Jacobs Kopf in ihrem Schoß. Holz strich über Teppich, und als Emma den Kopf hob, sah sie gerade noch, wie die Tür von Maggies Zimmer langsam zugeschoben wurde. Jahre später erschien ihr dieses Türschließen wie ein Sinnbild – als Zeichen eines Mädchens, das seine Mutter ausschloss, die Tür zu einem Kapitel seiner Kindheit schloss und sie nie wieder vollständig öffnete.
Sie hatte zu Maggie gehen wollen – ihre Tochter in die Arme schließen und ihr versichern wollen, dass alles wieder gut werden würde. Und vielleicht wäre ihr Leben anders verlaufen, wenn sie es getan hätte; vielleicht hätte sie Maggie vor all den Schwierigkeiten beschützen können, die auf sie zukamen. Aber sie konnte in diesem Augenblick nicht zu ihrer Tochter laufen, nicht mit dem blutenden Jacob hier in ihrem Schoß. Kyle und Sandra hatten sich bereits umgedreht und waren weggerannt, und sie war mit einem jungen Mann zurückgeblieben, der nicht allein sterben sollte.
Und während sie dort auf dem Boden hockte und JacobsKopf so zart hielt, wie ihre zitternden Hände es zuließen, beschlichen Emma Zweifel und Selbstvorwürfe. Warum hatte sie das getan? Wie war es so weit gekommen? Sie versuchte, sich an Jacobs Worte zu erinnern, als er sich in ihr Haus hineindrängte: »Ich will nur mit Ihnen reden … nur auf ein Wort.« Was war daran so furchterregend gewesen?
Die Worte waren es nicht, Jacobs Ausdrucksweise war immer geschmeidig und beruhigend gewesen. Es war die Kraft seiner Schulter, mit der er hereindrängte, und das anzügliche Grinsen in Kyles Gesicht, was ihr schließlich die Stärke nahm, sodass sie von der Tür zurückwich. Mit einem unheilverkündenden Lächeln war Jacob in ihren Hausflur hereingestolpert, mit der rechten ausgestreckten Hand schon ihr Haar berührend, so als wäre er ein Geliebter, der sie zu einem Kuss an sich ziehen wollte. Aber nein – Emma hatte gespürt, dass er ihr ins Haar greifen, ihren Kopf mit einem Ruck zurückreißen und sie von den Füßen holen wollte. Er war mindestens zwanzig Zentimeter größer als sie und um einiges schwerer. In seinen Händen wäre sie nichts weiter als eine Stoffpuppe gewesen.
Zu spät sah Jacob den Baseballschläger, der auf seine Beine zielte und ihn oberhalb der rechten Kniescheibe traf. Er fiel auf die Knie, was doppelt schmerzhaft gewesen sein musste, und streckte beide Hände nach ihren Oberschenkeln aus. Zu dem Zeitpunkt hatte Emma gedacht, er griffe nach dem Baseballschläger und versuchte, sie zu entwaffnen. Aber hinterher
Weitere Kostenlose Bücher