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Stimmen in der Nacht - Brodie, L: Stimmen in der Nacht

Stimmen in der Nacht - Brodie, L: Stimmen in der Nacht

Titel: Stimmen in der Nacht - Brodie, L: Stimmen in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Brodie
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hatte sie sich gefragt, ob er sich nur selbst vor dem zweiten Schlag schützen wollte oder die Hände in einer bittenden Geste hob. Hatte Jacob sie um Gnade gebeten   – und sie sie ihm verwehrt?
    Zehn Minuten nach ihrem Notruf fuhr das erste Fahrzeug in Emmas Auffahrt   – kein Krankenwagen oder Polizeiauto, sondern ein verbeulter Pick-up mit übergroßen Rädern und einem rot flackernden Licht auf der Motorhaube, eins der Sorte, die ein Fahrer je nach Belieben anbringen konnte.Zwei junge Männer in Jeans, Tarnjacken und mit Baseballkappen auf dem Kopf sprangen heraus und kamen bis zu den Verandastufen heran, nahe genug, um die groteske
pietà
im Flur zu sehen. »Der Krankenwagen kommt gleich«, sagte einer von ihnen, und dann traten beide deutlich verlegen wieder ein paar Schritte zurück. Emma hatte von diesen Jugendlichen schon gehört, den achtzehn oder neunzehn Jahre alten freiwilligen Helfern der Sanitätsmannschaften mit speziellen Radios, die auf den Notrufsender des Bezirks eingestellt waren, sodass sie auch an Unfallorte fahren und gaffen konnten, wenn sie nicht im Dienst waren. Vermutlich war es das einzig Aufregende hier in dieser ländlichen Gegend, dachte sie: Autokarambolagen, Jagdunfälle und Leute mit eingeschlagenem Schädel. Ein weiterer Pick-up mit einem flackernden Licht kam und brachte einen dritten Gaffer, der kaum älter als sechzehn aussah. Emma fragte sich, ob die Sanitäter auch so jung und ahnungslos wie diese Teenager sein würden.
    Der Krankenwagen näherte sich zur selben Zeit wie die Bezirkspolizisten, in Stereo kam das Sirenengeheul aus Norden und Süden heran. Emmas Pappeln blitzten rot und blau auf, als der Krankenwagen an den Pick-ups vorbei bis auf den Rand der Wiese fuhr. Der leitende Sanitäter, der auf ihre Veranda trat, hatte zu ihrer Erleichterung einen grauen Schopf.
    »Was ist passiert?«, fragte er, als er, eine Tasche mit einem roten Kreuz über der Schulter, die Fliegengittertür öffnete.
    »Er wurde mit einem Baseballschläger am Kopf getroffen«, sagte Emma, »hier.« Sie ließ das rechte Geschirrhandtuch los und klopfte mit der Hand an den eigenen Hinterkopf, was einen Blutfleck hinterließ, der übergangslos mit ihrem roten Haar verschmolz.
    Der Sanitäter kniete sich neben Jacob und hielt ihm die Finger an den Hals, um seinen Puls zu fühlen. »Hol die Trage!«, rief er seiner Kollegin hinter sich zu, und einer der unbeholfenen Jugendlichen eilte ihr zu Hilfe. In der Zwischenzeithob der Sanitäter vorsichtig Jacobs Kopf von Emmas Schoß, legte ihn auf den Läufer und nahm sein Stethoskop heraus. Dann spürte Emma auf einmal eine ruhige Hand auf ihrem Arm, und als sie aufblickte, sah sie in die sanften braunen Augen eines jungen Deputys, der eine beigefarbene Polizeiuniform trug und seinen Hut an die Brust gedrückt hielt wie ein bescheidener Verehrer. Langsam half er ihr auf und zog sie weg von dem Verletzten; und als ihre Beine, die vom langen Knien ganz steif geworden waren, wankend unter ihr nachzugeben drohten, ergriff er sie fest am Ellbogen. »Hier entlang, Ma’am«, murmelte er und führte sie in die Küche.
    Emma hielt die beiden Geschirrhandtücher hoch, als wollte sie ihm das Blut präsentieren.
    »Die können Sie auf den Küchentresen legen«, sagte er. »Soll ich Ihnen ein Glas Wasser bringen?«
    Emma schüttelte den Kopf, als sie sich auf den Stuhl setzte, den er für sie hervorgezogen hatte. »Mein Mann«, sagte sie. »Irgendwer muss Rob anrufen.« Der Deputy wies mit einem Kopfnicken auf seinen Kollegen. »Geben Sie Fletcher die Nummer, er wird ihn anrufen.«
    In den nächsten Minuten begann Emma, ihre Geschichte zu erzählen   – dass sie vom Bach her Stimmen gehört hatte und die Studenten von Maggies Fenster aus sehen konnte. Sie tranken Bier, erklärte sie, und sie war ans Wasser hinuntergegangen, um ihnen zu sagen, dass sie gehen sollten. Sie nannte den Polizisten die Namen der beiden jungen Männer und beschrieb auch die Schwierigkeiten, die sie mit Kyles Diebstählen in der Vergangenheit gehabt hatte. Und dann hatte das namenlose junge Mädchen darum gebeten, die Toilette benutzen zu dürfen.
    Ein weiterer Deputy kam in die Küche hinein. »Brennt es hier irgendwo?«
    »Nein«, erwiderte Emma verwirrt. »Wie kommen Sie darauf?«
    »Aus einem der oberen Fenster hängt eine Strickleiter heraus«,sagte er. »So eine, mit der man bei einem Brand aus dem Haus flieht.«
    Emma sprang von ihrem Stuhl auf, rannte durch den Flur und dann immer

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