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Stimmen in der Nacht - Brodie, L: Stimmen in der Nacht

Stimmen in der Nacht - Brodie, L: Stimmen in der Nacht

Titel: Stimmen in der Nacht - Brodie, L: Stimmen in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Brodie
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können   – zu hoch für Carlos Cortez, um seine Nase an die Scheibe zu drücken. Emma betrat einen Raum, der kaum noch als einstiges Klassenzimmer zu erkennen war, denn die Tafeln waren mit Wandbehängen aus Stoff verdeckt und die nackten Steinwände mit Postern impressionistischer Landschaften geschmückt. Drei Stockbetten für Kinder und sechs Feldbetten für Frauen waren wohnlich auf blauen und grünen Teppichen arrangiert, und die weißen alten Nachttischlampen von der Heilsarmee machten die Neonbeleuchtung an der Decke überflüssig. Den letzten Schliff verliehen dem Raum aber die Spitzengardinen, die an den Fenstern hingen, selbst gehäkelt von einer der belastbarsten Bewohnerinnen des Heims, Martha Diaz.
    Martha war eine zweiundsechzigjährige, auf Jamaika geborene Witwe mit weißem Haar und kräftiger Statur, die in diesem Moment die Laken eines Feldbetts abzog und sie in einen Plastikwäschekorb stopfte. Bis Mitte vierzig hatte sie als Wachfrau gearbeitet, doch dann hatten die immer wiederkehrenden depressiven Schübe, verschlimmert durch ihre Alkoholsucht, sie von einem Job zum nächsten getrieben. Drei Jahre lang war sie obdachlos und nur selten einmal nüchtern gewesen, bis sie ins North Capitol Center für Frauen kam, und innerhalb dieser Mauern hier hatte Martha ihr Verantwortungsbewusstseinwiedergefunden und war für viele der jungen Frauen zu einer Art Heimmutter geworden. Sie war eine leidenschaftliche Hausfrau, Gärtnerin und Dekorateurin, und als Martha vor acht Monaten um eine Nähmaschine bat, hatte Emma gleich drei gekauft und sich Vorwürfe gemacht, dass sie daran nicht schon früher gedacht hatte. Von Wal-Mart waren Stoffspenden gekommen, und Martha hatte anderen Bewohnerinnen gezeigt, wie man Vorhänge für die Klassenzimmer nähte. Ein paar Müttern hatte sie auch gleich beigebracht, Kleider für ihre Kinder zu nähen.
    Jetzt ging Emma Martha zur Hand, ergriff das Ende eines sauberen Lakens und half ihr, es über die Matratze zu ziehen.
    »Maria ist da«, sagte Emma.
    Martha nickte. »Sie kann das Bett hier haben. Hat sie Christian mitgebracht?«
    »Nein. Er ist bei ihrer Schwester.«
    »Ist er da sicher?«, fragte Martha.
    »Ich hoffe es.«
    Sie ließen ein sauberes Decklaken über der Matratze flattern, dann zogen sie es glatt, und Emma versuchte, die Ecken ebenso akkurat zu falten wie die ältere Frau, doch es gelang ihr nicht.
    »Wie sieht sie aus?«, erkundigte sich Martha.
    Emma seufzte. »Schwer zu sagen, sie trägt lange Ärmel und Leggings. Aber sie hat ein blaues Auge und eine aufgesprungene Lippe. Ruth kümmert sich im Moment um sie.«
    »Ein fieser Kerl, dieser Carlos.« Martha legte ein sauberes Kissen auf das Feldbett. »Glauben Sie, dass sie auch diesmal wieder zu ihm zurückgeht?«
    »Ich weiß es nicht.«
    Martha schüttelte den Kopf. »Ihr kleiner Junge hält das nicht mehr lange aus.«
    »Sie ist stärker, als sie aussieht«, erwiderte Emma, auch wenn sie Martha insgeheim zustimmte. Marias Situation wurde immer schlimmer und folgte einem Muster, das Emmaschon oft gesehen hatte: Die gewalttätigen Übergriffe häuften sich und wurden schwerwiegender, wenn der Mann alle Scham verlor und die Frau alle Hoffnung. Dies war Marias dritter Besuch im Heim und vermutlich ihre letzte Chance, zu entkommen.
    »Wird Carlos hier auftauchen?«, fragte Martha.
    »Wahrscheinlich.« Emma nickte. Es wäre nicht das erste Mal. Er gehörte zu den wenigen Männern, die sich vor dieses Gebäude stellten, lautstark ihre Reue bekundeten und ihre Ehefrauen anflehten, doch zurückzukommen. Carlos hatte Maria versprochen, ihr niemals wieder wehzutun, wenn sie nur bitte, bitte zu ihm zurückkäme.
    An jenem Abend war Emma in ihrem neuen Heim noch in der Einarbeitungsphase gewesen und hatte Maria dummerweise in einem Raum zur Straße hinaus untergebracht. Es waren nur zwei Betten frei gewesen, als die junge Frau kam, und sie hatte keine andere Wahl gehabt. Diesen Fehler würde Emma nie wieder machen. Maria hörte die Beteuerungen ihres Ehemanns durch die geschlossenen Fenster, und sein Schluchzen erweichte ihr Herz.
    »Glauben Sie ihm kein Wort«, warnten die anderen Frauen. »Denen tut es immer nur so lange leid, bis sie das nächste Mal betrunken sind.«
    Als Maria nicht kam, hatte Carlos mit einem Stein ein Fenster im ersten Stock eingeworfen und war weggerannt. Am Morgen darauf war Emma zur Staatsanwaltschaft gegangen, um eine Klage gegen ihn einzureichen und eine einstweilige Verfügung auf

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