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Stimmen in der Nacht - Brodie, L: Stimmen in der Nacht

Stimmen in der Nacht - Brodie, L: Stimmen in der Nacht

Titel: Stimmen in der Nacht - Brodie, L: Stimmen in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Brodie
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ihrem Schoß.
    Jodie unterbrach sie nur an der Stelle der Geschichte, als Emma erklärte, dass sie die Studenten gebeten hatte, zu gehen.
    »Und die drei hatten Alkohol getrunken?«
    »Kyle hielt ein Bier in der Hand«, bestätigte Emma. »Und das junge Mädchen schien beschwipst zu sein. Ich vermute, sie kamen von der Party bei Hillyer.«
    »Und Sie haben ihnen gesagt, sie sollen nach Hause fahren?«
    Emma hielt kurz inne, da sie merkte, worauf Jodie hinauswollte. Eine Professorin hatte betrunkene Studenten, die bei ihrem Haus aufgekreuzt waren, aufgefordert, mit dem Auto zu fahren.
    »Ich habe ihnen nur gesagt, dass sie gehen sollen. Es war spät, und ich wollte sie von meinem Grundstück herunter haben.«
    »Aber Sie haben ihnen nicht angeboten, sie selbst zu fahren oder einen HOT S-Van zu rufen?« HOTS stand für den Holford Transport Service, der alles bereitstellte von Kleinbussen für behinderte Studenten bis hin zu Nottransporten für gestrandete Jugendliche, deren Autos eine Panne hatten oder die   – was häufiger vorkam   – zu betrunken waren, um selbst zu fahren. Die Studenten nannten sie die Schnaps-Vans oder Party-Busse.
    »Daran habe ich nicht gedacht. Es war ja nicht so, dass ich ihnen den Alkohol angeboten oder sie zu mir nach Hause eingeladen hatte.«
    »In Ordnung«, sagte Jodie. »Aber den Teil der Geschichtewürde ich nicht allzu stark betonen. Erzählen Sie mir noch einmal, was mit Jacob geschah   – wie es dazu kam, dass Sie ihn schlugen.«
    »Es war ein Reflex. Das Ganze dauerte nicht länger als zehn Sekunden. Er griff nach mir, und ich schlug ihn zweimal, so hart ich konnte.« Tränen traten Emma in die Augen, und auf einmal fühlte sie sich furchtbar erschöpft. Ihr Körper schmerzte, als hätten die Ereignisse ihn völlig zerrüttet. Sie erwähnte Jodie gegenüber nicht, dass Jacob nach dem ersten Schlag einknickte. Emma wollte nicht, dass die Dekanin sich vorstellte, wie ein Student auf den Knien die Hände nach seiner Professorin ausstreckte, bevor diese ihm einen zweiten Schlag versetzte.
    »Ach du meine Güte.« Jodie seufzte, legte Emma eine Hand aufs Bein und tätschelte es zweimal, während sie laut dachte. »Es wird schwierig werden, das seiner Mutter zu erklären. Ich werde Don wecken müssen. Er wird wahrscheinlich mit mir in die Uniklinik fahren wollen, um zu zeigen, wie betroffen das ganze College ist.«
    Don Kresgey war der Präsident von Holford, einem College, das klein genug war, um sich in seinen Werbebroschüren als eine Familie anzupreisen. Er musste natürlich verständigt werden, wenn ein Student schwer verletzt war. Doch der kalte Pragmatismus in Jodies Ton, dem jedes Mitleid oder Zögern fehlte, überraschte Emma. Sie wusste, dass Jodie schon Dutzende von studentischen Tragödien miterlebt hatte   – Selbstmorde, Autounfälle und Alkoholvergiftungen, schwangere Mädchen und drogensüchtige Jungen, College-Verweise und Suspendierungen. Aber dieses Ereignis hielt seinen ganz eigenen Horror bereit, und sie konnte sehen, wie Jodie bereits taktische Überlegungen anstellte. Eine Professorin hatte einen Studenten angegriffen, womöglich sogar getötet, und jetzt war dessen Mutter auf dem Weg hierher. Welche Gerichtsprozesse würde das nach sich ziehen? Welche albtraumartige Publicity? Der Präsident und die Dekaninmussten Mrs Stewart in einer geeinten Front von Sympathie und Kompetenz entgegentreten.
    »Haben Sie schon mit Journalisten gesprochen?«, fragte Jodie.
    »Nein, und das habe ich auch nicht vor.«
    »Richtig. Je weniger Publicity, desto besser.« Jodie neigte den Kopf und musterte Emma. »Geht es Ihnen gut?« Erst jetzt schien ihr aufzufallen, dass es in diesem Fall mehr als nur ein Opfer gab.
    »Körperlich, ja.«
    »Möchten Sie mit einem unserer Psychologen sprechen? Paula Harding ist wunderbar.«
    »Ich glaube, das ist nicht nötig.«
    »Sie haben ein Trauma erlitten, es könnte sein, dass Sie professionelle Hilfe brauchen.«
    Kyle Caldwells Worte »verrückte Schlampe« dröhnten in Emmas Ohren, und sie wurde wütend. »Ich brauche keine professionelle Hilfe.«
    Jodie zögerte, als wollte sie noch mehr dazu sagen, doch stattdessen wechselte sie das Thema. »Geht es Maggie gut?«
    Emma senkte den Blick. »Sie hat alles mit angesehen.«
    »Oje.« Jodie schüttelte den Kopf. »Das tut mir sehr leid, Emma.« Sie biss sich in die Innenseite ihrer linken Wange, eine nervöse Angewohnheit, die sie auch auf Komiteesitzungen an den Tag legte, wenn sie über

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