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Stimmen

Stimmen

Titel: Stimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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dem Blut, das aus seinem Mund gedrungen war, Flecken hinterlassen hatte. Zwischen dem Revers des Bademantels prangten zwei saubere Einschusslöcher in der behaarten Brust. In die Stirnhaut hatte jemand mit leichten Strichen, die ein Bluten verhindert hatten, drei Worte geritzt:
     
    LIEB DICH SCHATZ
     
    Peter blickte nach unten. Wer immer diese Botschaft eingeritzt hatte, musste vor Joseph gekniet haben, denn er – oder sie – hatte blutige Abdrücke von Knien hinterlassen.
    Neben dem linken Fuß, der in einem Pantoffel steckte, glitzerte eine Stecknadel.
    Als Peter die Hand nach Josephs Handgelenk ausstreckte, stieß er mit der Handfläche gegen einen Stachel mit stumpfem Kopf: Fünf weitere Stecknadeln ragten aus Josephs Handrücken.
    Das lag so jenseits von allem, was Peter je erlebt hatte, dass die chemischen Stoffe, die sein Körper als Reaktion darauf ausschüttete, ihn wundersamerweise stabilisierten. Seine Finger hörten auf zu zittern. Jetzt gewann eine fatale Wissbegier, die Neugier einer Katze, die Oberhand. Er war immer noch am Leben und für den Augenblick über jede Furcht hinaus; alle Angst war aus ihm herausgesickert, hatte sein Hosenbein durchnässt, war auf den Boden getröpfelt. Würdelos, zugegeben, aber was, zum Teufel, macht das schon aus? Fühl ihm den Puls, Mann.
    Peter schob den Ärmel des Bademantels hoch und griff mit zwei Fingern unter das Handgelenk: kein Puls und kalt. Er strich über die bläuliche Haut von Josephs Unterarm: ebenfalls kalt. Sein Freund und früherer Auftraggeber war schon geraume Zeit tot. Nicht erst seit Sekunden oder Minuten.
    Seit Stunden.
    Peter zog die Schuhspitze zurück, heraus aus dem Umkreis geronnenen Blutes. Konnte er dem Geständnis eines Toten Glauben schenken?
    Aus der Brusttasche von Josephs Bademantel lugte ein glänzendes blaues Plastikteil hervor. Vorsichtig griff Peter in die Tasche und zog ein Handy heraus – kein Trans. Er hob es hoch, als hätte er irgendeinen großen Käfer vor sich, dessen Panzer möglicherweise gleich bersten oder dessen Flügel plötzlich aufflattern würden.
    Während er das Handy hielt, meldete es sich plötzlich mit der Melodie von »Fernando’s Hideaway«. Er zuckte zusammen, ließ es jedoch nicht fallen. Es war nicht schwer zu erraten, wer am anderen Ende war, auf der fernen, tödlichen Seite des Universums, vom Rest der Menschheit aus betrachtet. Er drückte auf Empfang.
    »Sind Sie’s, Peter?«, fragte Michelle. Ihre Stimme war nicht besonders deutlich; sie rief von einem anderen Telefon aus an, benutzte kein Trans. Vielleicht war sie sogar im Haus.
    »Wer sonst?«, gab Peter mit heiserer Stimme zurück.
    »Haben Sie Joseph gefunden?«
    »Ich habe ihn gefunden.«
    »Ist er tot?«
    Peter wusste nicht, was er darauf antworten sollte.
    »Oh, mein Gott, Peter, er ist tot, nicht wahr? Das ist alles so seltsam. Mir fehlen die Worte.«
    Er starrte auf den erkalteten Leichnam von Joseph Adrian Benoliel hinunter. »Wer bist du?«, fragte er.
    »Wie bitte?«
    »Michelle würde so etwas nicht tun.«
    »Ach nein?«, erwiderte die Stimme am anderen Ende in verändertem Ton.
    »Nein, so was würde sie nie tun.«
    »Möchtest du mit Michelle sprechen? Soll ich hier mal herumstöbern und sie suchen?«
    »Wer bist du?«
    »Michelle ist noch da, tief hier drinnen, aber sie ist ein Winzling, so klein und schwach wie ein Baby. Deshalb hab ich ihr geholfen. Kannst du mir je verzeihen?«
    Mit weit aufgerissenen Augen wandte sich Peter der Tür zu. Sie ist im Haus. Ganz in der Nähe. »Ich muss die Polizei verständigen.«
    »Was würden Polizisten schon nützen? Sie ist schon seit langer Zeit tot und hat ihre Strafe erhalten.«
    »Warum hast du Joseph getötet? Hat er dich wütend gemacht?«
    »Wenn ich Wut empfinden könnte, wäre ich wie du«, erwiderte Michelle.
    »Hast du meine Tochter umgebracht?« Der alte, vernünftige Peter, der sich angesichts all dieser entsetzlichen Dinge in ein Schlupfloch geflüchtet hatte, konnte nicht fassen, was er Michelle da gerade gefragt hatte. Und ihre Antwort war noch schwerer zu schlucken.
    »Ich reite das Pferd. Und manchmal möchte es galoppieren.«
    In der Hoffnung, dass Michelle die Pistole an auffälliger Stelle hatte liegen lassen, sah sich Peter im Zimmer um. Er konnte die Waffe brauchen, falls er Michelle fand. Falls sie ins Zimmer kam. Oder falls er sie auf dem Grundstück oder sonst wo aufstöberte. »Das kapier ich nicht«, erwiderte er.
    »Das Tier, das ich reite. Meine äußere

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