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Stimmen

Stimmen

Titel: Stimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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als hätten sie ihn im Würgegriff.
    Um das Sprechen zu unterbinden, biss er sich auf die Zunge, bis er Blut schmeckte. Das erstickte Stöhnen aber, das aus seiner Kehle drang, hörte nicht auf.
    Sie umzingelten ihn: Bewegungen in der Luft, als kräuselte sich Wasser, Umrisse, Spuren und Fragmente toter Menschen, von anderen gedrängt und an dieser Stelle zusammengetrieben. Vielleicht auch nur von einem einzigen Wesen, das nicht menschlich war. Innerlich widerstrebend, machte Peter einen unbeholfenen Schritt auf den Fahrstuhl zu. Unwillkürlich kniff er die Augen zu: Dieser enge Raum war ihm im höchsten Maße zuwider. Doch schon wurde er hineingestoßen.
    Sobald sich die Gittertür aus Bronze schloss, merkte er, dass der Fahrstuhl noch weniger Platz bot, als er angenommen hatte. Die Luft roch nach Rauch.
    Die trübe orangefarbene Birne flackerte, während die Zugrollen und Kabel zuckten und der Elektromotor aufheulte. Ruckend setzte sich der Käfig in Bewegung.
    Es ging abwärts.

 
Kapitel 41
     
    Mit flatternden Augenlidern lehnte sich Peter in die Ecke, um so viel räumlichen Abstand zu den Fahrstuhlwänden ringsum wie nur möglich zu wahren. Er versuchte sich vorzumachen, er habe Platz und sei keineswegs in einen Sarg eingeschlossen. Sein Gesicht war mit Tränen und Schweiß überströmt, sein Herz schlug rasend schnell und unregelmäßig.
    Falls er jetzt starb, würde er auf der Schnellstraße hängen bleiben, mitten in einem Verkehrsstau, so viel war ihm klar. Er würde hier nie wieder raus kommen, nie den Ausstieg finden, nie zu dem Ort weiterziehen können, der ursprünglich für ihn bestimmt gewesen war, welcher es auch sein mochte.
    Vielleicht der Himmel, so still und friedlich und wohl geordnet wie die Cheviot Hills.
    Oder die Nacht da draußen, in der er sich einfach nach und nach auflösen würde.
    Peter Russell war entschlossen, auf keinen Fall hier und jetzt zu sterben. Sein Herzschlag beruhigte und stabilisierte sich.
    Während die orangefarbene Birne über seinem Kopf zu summen und zu flackern anfing, glitt die Fahrstuhltür mit einem nachhallenden Knirschen zur Seite.
    Mit weit aufgerissenen Augen schob er sich aus seiner Ecke, schwenkte hastig die Arme und scharrte mit den Füßen, als wollte er einen Mückenschwarm vertreiben. Aber er war allein. Das dichte Gedränge im Fahrstuhl hatte sich verflüchtigt, und auch von dem riesigen Wesen, dem unsichtbaren Grizzlybär, war nichts mehr zu spüren. Peter hatte im Augenblick nicht das Gefühl, dass ihm irgendjemand oder irgendetwas Gesellschaft leistete.
    Entweder sie konnten sich schneller bewegen als er, oder sie hatten es gar nicht nötig, sich zu bewegen, um den Weg frei zu machen. Auf einen Schlag an einen anderen Ort versetzt, wie bei einem schlecht geschnittenen Film.
    Mit baumelnden Armen und geballten Fäusten blieb er auf dem Linoleumboden eines Raumes stehen, der links und rechts mit Vorratsschränken aus Stahl ausgestattet war. Am anderen Ende, halb von einem Stapel hölzerner Obstkisten verdeckt, standen eine uralte Waschmaschine und ein Trockner. Dahinter ragte ein wahres Ungetüm von Wasserboiler empor, der rechts und links von Betonpfeilern gestützt wurde und wie der Dampfkessel eines Schiffes wirkte. Auf dem Fußboden türmten sich gerahmte Fotos längst verstorbener Schauspielerinnen und Schauspieler, die so verrutscht waren, dass sie die Schränke blockierten. Dutzende von Gesichtern, deren Lächeln, festgehalten in Schwarzweiß, hinter zerbrochenem Glas erstarrt war. Ausnehmend schöne männliche und liebreizende weibliche Gesichter, deren Blicke dem Betrachter Freundschaft und sexuelle Abenteuer verhießen – leere Versprechen.
    »Für Lordy und speziell für seine bessere Hälfte Emily. «
    »Für Morty und Frances.«
    »Das verdanke ich alles dir.«
    »Mit tausend Küssen.«
    Neben den Stapeln von Fotos lagen achtlos weggeworfene Kartons mit Sammelalben, deren Ledereinbände bereits verrotteten. Alle trugen die Initialen L. T. Eines war auf einer Seite mit sepiabraunen Fotos aufgeklappt, die sich längst wellten. Die Schnappschüsse zeigten eine schlanke, lächelnde Blondine in schwarzem Badeanzug, die die Arme ausgestreckt und den Körper gebeugt hatte, als wollte sie sich gleich kopfüber in die Fluten stürzen. Emily Gaumont. Peter schlug das Blatt mit der Schuhspitze um. Auf den folgenden Aufnahmen waren hübsche junge Filmsternchen verewigt, ausnahmslos naiv wirkende Mädchen. Und stattliche alte Wagen, darunter ein

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