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Stimmen

Stimmen

Titel: Stimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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Packard, ein Bentley und ein uraltes Feuerwehrauto. Er blätterte zurück. Etwas in Emilys Gesichtsausdruck kam ihm merkwürdig bekannt vor. Zwar lächelte sie gewinnend, aber die Augenbrauen waren kritisch hochgezogen. Lordy Trentons junge Ehefrau erinnerte ihn an Michelle, obwohl das Foto mehr als sechzig Jahre alt sein musste.
    »Weg mit dem Alten, her mit dem Neuen«, flüsterte Peter. Michelle renovierte leidenschaftlich gern, und Joseph hatte ihr stets ihren Willen gelassen.
    Als er nach rechts blickte, bemerkte er eine zweigeteilte Tür, die gelb und beige gestrichen war. Die obere und die untere Türhälfte standen in schrägem Winkel zueinander. »Joseph, du verdammter Mistkerl«, machte er seinem Zorn Luft. Der Raum schien darauf mit einem Vibrieren zu antworten. »Du hast Michelle hierher gebracht. Du hast sie nach unten mitgenommen und dann…«
    Er schaffte es nicht, den Satz zu Ende zu bringen. Denn all diese Anschuldigungen zählten nichts angesichts dieses unbewohnten Gebäudes, dieses öden Orts, der all das umfasste, was er selbst in den letzten beiden Jahren durchgemacht hatte – die verzweifelte Suche, das Abdriften in den Wahnsinn. Konnte es sein, dass Joseph die Wahrheit erraten hatte? Dass nicht er es gewesen war, der Michelle hierher gebracht hatte – jedenfalls nicht den inneren Kern, der sie seitdem beherrschte? Dass sie diesen Kern in Salammbo schon vorgefunden hatten? Ein uraltes Wesen, das geduldig abgewartet hatte. Darauf gewartet hatte, dass wieder einmal genau der Typ Frau auftauchte, wie er so häufig im Umkreis resignierter alter Männer mit viel Kohle zu finden ist. Auf ein naives junges Ding, das – innerlich leer – genug Angriffsflächen bot…
    Michelle. Michelle, die – völlig verängstigt und wie gelähmt – unter dem Schock eines Doppelmords stand. So sehr, dass ihr Selbstbewusstsein schließlich völlig zusammenschrumpfte und sich in einen sehr tiefen, sehr dunklen Winkel ihrer Seele flüchtete. Übrig blieb ein nahezu leeres Gefäß, das nur darauf wartete, dass es wieder gefüllt wurde…
    Scragg hatte Peter gefragt, ob er irgendwelche zusätzlichen Hinweise beisteuern könne, ob ihm irgendetwas einfalle, das vielleicht auf jemanden in ihrem Umfeld, in ihrem Bekanntenkreis hindeute.
    Zwangsläufig richtete sich Peters Wut jetzt gegen ihn selbst. Aber darauf hätteer doch keinesfalls kommen können. Oder doch?
    Jetzt sah er, dass sich Rauch und Schwelbrand an der Decke über dem Bahnsteig bei dem Tunnel konzentrierten. Es mochte Einbildung sein oder nicht – Peter hielt es eher für real –, jedenfalls spürte er, wie ein Windstoß durch den Tunnel fegte und einen uralten, beißenden Geruch herübertrug. Es roch wie bei einem Grillfest: nach Rauch und geschmortem Fleisch. Die Empfindung war rein innerlich, denn auf der Haut konnte er den Wind nicht spüren. Es war so, als führte der Wind Ruß mit sich, der in ein alles wahrnehmendes, inneres Auge drang. Nur bestand dieser besondere Ruß aus Gedankenfetzen voller Kummer und Angst. Und stammte nicht nur von denjenigen, die seinerzeit beim Feuer im Bahntunnel den Tod gefunden hatten.
    Peter hielt sich Mund und Nase zu.

 
Kapitel 42
     
    Hinter dem Bahnsteig, den man in Länge und Breite mit sechs Schritten durchmessen konnte, führte der Verbindungstunnel zwischen dem Flaubert-Haus und Jesus weinte wie ein winziger U-Bahn-Schacht ins Dunkle. Die einzige Beleuchtung war das trübe Licht von Glühbirnen, die in weitem Abstand voneinander von einem dünnen schwarzen Kabel baumelten; manche waren mittlerweile ausgebrannt. Aufgestapeltes Gerumpel, schwärzlich verkohlt und mit einer grauen Staubschicht überzogen, blockierte den halben Tunnel. Auf der anderen Seite des kleinen Bahnsteigs waren weitere Kartons verstreut, manche davon so aufgeplatzt, dass sich auch hier Sammelalben, Fotos, Geschichte quer über den Boden verteilt hatten. Ganz hinten in der rechten Ecke lag ein eingeklemmter kleiner Waggon, der auf die Seite gekippt war und vier eingekerbte Schienenräder in die Luft streckte. Daneben stand ein leerer Werkzeugkasten. Über all dem hing so viel Staub und Ruß, dass man wenig erkennen konnte, bis auf einen schmalen Trampelpfad, der zum Tunnel führte. Es sah so aus, als hätte jemand mit starker Hand ein Handtuch dazu benutzt, den Weg zwischen den Müllbergen frei zu fegen. Irgendjemand hatte hier schwere Lasten hinter sich hergeschleift. Am Rand des freigemachten Pfades waren die Spuren kleiner Füße zu

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