Stimmen
Sie uns gehen«, drängte Jean Baslan, griff nach Peters Arm und wollte ihn wegzerren.
»Nein, seine Frage ist noch nicht beantwortet«, entgegnete Sandaji.
»Das kann warten«, meinte Jean Baslan. Peter nickte, da er so schnell wie möglich aus dem Haus verschwinden und diesen Unsinn hinter sich lassen wollte. Er fragte sich, wie viel davon bloße Schau war. Sie hatten bestimmt nicht tief graben müssen, um herauszufinden, dass er Kinder hatte. Gute Geisterbeschwörer oder Medien waren stets auf ihre Kunden vorbereitet.
»Nein, die Frage ist gut, ich sollte sie beantworten.« Sandaji setzte sich auf, holte tief Luft, hob die Schultern an, bog den Rücken durch und atmete langsam wieder aus. Sie sah ihre Assistentin und Peter Russell mit wieder gefundener Willenskraft an, und als sie sprach, klang ihre Stimme erneut so voll und schwingend wie ein Cello. »Viele leben weiter, auch wenn sie keine Seelen mehr haben. Die meisten von uns können nicht verstehen, was sie so heftig umtreibt. Sie werden von Trieben gesteuert und sind voller Lebensgier, aber innerlich hohl. Sie oder ich können ihnen in keiner Weise helfen. Und selbst, wenn diese Wesen nach innerer Erleuchtung suchen, treiben sie wie Schiffe ohne Anker im Sturm dahin.« Einen Augenblick lang bewegten sich ihre Lippen lautlos, als übte sie den nächsten Satz ein, dann fügte sie abschließend hinzu: »Eine merkwürdige Frage, aber seltsamerweise wichtig. Mein innig geliebter Lehrmeister hat einmal lange über dieses Thema gesprochen. Allerdings sind Sie der Erste, der sich bei mir danach erkundigt. Und jetzt frage ich mich natürlich, warum.«
»Es war die falsche Frage.« Jean Baslan starrte Peter finster an.
»Ich fühle mich schon viel besser«, entgegnete Sandaji und versuchte aufzustehen. Mit leicht gequälter Miene ließ sie sich wieder auf die Couch sinken. »Tut mir wirklich Leid, Mr. Russell.«
»Sie haben Ihre Antwort«, bemerkte Jean Baslan nachdrücklich.
»Wir sind höfliche Menschen, Jean«, wies Sandaji sie leise zurecht. »Allerdings bin ich wirklich müde. Dabei hatte der Abend so schön angefangen. Ich glaube, ich sollte zu Bett gehen.«
Ohne auch nur den Anschein von Höflichkeit zu wahren, brachte Jean Baslan Peter zur Eingangstür. »Das Tor geht automatisch auf«, sagte sie mit immer noch angespannter Miene und zusammengekniffenen Augen. Peter fühlte sich an eine Katze erinnert, die ihre Jungen beschützt.
Er überquerte die Terrasse, stieg die Treppe hinunter und wandte sich erst zum Haus um, als er hörte, wie die Tür sich schloss. Einen Augenblick blieb er stehen, da er wieder einen Anflug von Platzangst hatte und schlecht Luft bekam. Flüchtig hatte er den Eindruck, etwas Dunkles, vielleicht eine Schlange, im Bambus zu sehen, doch gleich darauf war es verschwunden. Das Licht hatte ihm wohl einen Streich gespielt.
Als er in die Jackentasche griff, spürte er den glatten Kunststoff des Handys – des Trans, berichtigte er sich – und das Bündel mit Hundert-Dollar-Scheinen.
Das er spenden sollte.
Kurz dachte er daran, einfach weiterzugehen und das Geld zu behalten. Welche Verschwendung, es hier zu lassen! Mit zehn Riesen würde er viele Rechnungen bezahlen können, insbesondere die von Helen. Lindseys Schule würde bald wieder anfangen, und sie würde neue Kleidung brauchen. Joseph und Michelle gegenüber konnte er einfach behaupten, er habe Baslan das Geld gegeben, und wenn Sandajis Leute das bestritten, sei es gelogen.
Doch er hatte noch nie im Leben Geld gestohlen, zumindest nicht seit seiner frühen Kindheit. Damals hatte er Münzen aus der Schale geklaut, in der seine Mutter das Kleingeld sammelte. Er hatte nie gut lügen können, vielleicht waren ihm Lügner und Diebe genau aus diesem Grund stets verhasst gewesen.
Also trat er den Rückweg an, wobei seine Schritte erneut dumpf und hohl auf dem massiven Holzboden der Terrasse widerhallten. Auf sein Klopfen öffnete Jean Baslan unverzüglich die Tür.
»Wie geht es ihr?«, fragte er.
»Etwas besser«, erwiderte sie kurz angebunden. »Sie ist nach oben gegangen, um sich auszuruhen.«
»Ich habe ihr im Auftrag von Mr. Benoliel eine Frage gestellt und eine Antwort erhalten. Deshalb bin ich hierher gekommen, aus keinem anderen Grund. Ich wollte keineswegs so etwas wie eine persönliche Lebensdeutung. Zweifellos beschaffen Sie ihr die nötigen Informationen. Es geht mir gegen den Strich, dass Sie ihr von Daniella erzählt haben, das wollte ich Sie nur wissen
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