Stimmen
lassen.« Er streckte ihr das Bündel Geldscheine hin, das sie mechanisch entgegennahm. Ihr Gesicht hatte eine leicht rötliche Färbung angenommen.
»Ich beschaffe keine Informationen für Sandaji«, schnappte sie. »Ich habe ihr überhaupt nichts erzählt. Und Sandaji befasst sich weder mit Deutungen, noch verkehrt sie mit Geistern. Wir kennen Sie ja nicht einmal, Mr. Russell.« Sie tauchte kurz nach links weg, um das Geld irgendwo zu verstauen. Er hörte, wie eine Glas- oder Keramikschüssel klirrte. »Wir sind keine Scharlatane. Und jetzt dürfen Sie gehen.«
Da Jean Baslan jetzt nicht mehr den Eingang verstellte, konnte Peter durch einen Mauerbogen deutlich das Esszimmer einsehen, das knapp zehn Meter von der vorderen Veranda entfernt lag. Dort stand ein kleiner Junge in Rüschenhemd und Kniestrümpfen, der krank aussah. Nein, nicht krank, sondern wie tot. Oder, noch schlimmer, wie eine Erscheinung, wie jemand, dessen Körper sich auflöst. Der Junge wandte sein wächsernes Gesicht in Peters Richtung, wobei sein Kopf wie der einer Gliederpuppe schlackerte. Die grauen Augen blickten direkt durch Peter hindurch. Plötzlich verschwammen die Umrisse so, als hätte der Sucher einer Kamera den Fokus verändert und ihn dabei aus dem Sichtfeld verloren.
Peters Augen brannten.
Als Jean Baslan wieder im Eingang auftauchte, umfasste sie den Türrahmen und fragte in scharfem Ton: »Brauchen Sie eine Empfangsbestätigung?«
Peter stellten sich die Nackenhaare auf. Er schüttelte den Kopf und setzte die Brille ab, als wollte er sie putzen.
»Dann gute Nacht.«
Als er nicht von der Stelle wich, musterte Jean Baslan ihn beunruhigt und fügte hinzu: »Wir sind doch fertig miteinander, oder?« Während sie sich vorbeugte, um die Tür zu schließen, gab sie erneut den Blick auf den Mauerbogen und das Esszimmer frei. Der Junge war nicht mehr zu sehen, obwohl er nicht unbemerkt gegangen sein konnte. Er war einfach nicht mehr da, vielleicht war er auch nie da gewesen.
Jean Baslan knallte Peter die Tür vor der Nase zu.
Wie ein Kind, dem man übel mitgespielt hat, blieb er benommen und mit brennendem Gesicht auf der Veranda stehen. Langsam brachte er die geballten Fäuste dazu, sich wieder zu öffnen. »Ist doch alles Humbug«, murmelte er und setzte die Brille auf. Er hatte ja von Anfang an nicht hierher kommen wollen. Hastig ging er die Treppe hinunter und den gewundenen Steinweg entlang, der durch das Bambusgestrüpp zum Tor führte, wobei die Mauer zu seiner Linken das Echo seiner Schritte zurückwarf. Gleich darauf ging das Tor mit einem Surren auf und schloss sich hinter ihm, dem unerwünschten Störenfried, den man eilig von Haus und Hof verbannt hatte.
Auf der Straße wischte er sich die Stirn mit einem Taschentuch ab, öffnete die Wagentür und ließ sich auf den Fahrersitz sinken. Während er den Motor anließ und dem beruhigenden, vertrauten Brummen lauschte, versuchte er sich Sandajis Antwort auf Josephs Frage ins Gedächtnis zu rufen; trotz allem, was geschehen war, hatte er sie noch deutlich im Kopf. Ehe er den ersten Gang einlegte, wiederholte er die Worte mehrmals und speicherte sie im Gedächtnis. Nach und nach lockerte sich der Muskelkrampf in seinem Brustkorb, und er kam wieder zu Atem. Allerdings brannte es hinter seinen Augen immer noch so, als wäre er tropischer Schwüle ausgesetzt oder als entlüde sich feuchte Hitze in seinen Schädel.
Auch wenn die beiden Frauen es bestritten: Sie waren Scharlatane. Warum hatten sie im Hinterzimmer diese grässliche Farce inszeniert? Und danach einen kleinen Jungen vorgeführt, der das Kostüm einer hundert Jahre alten Comicfigur, die Buster-Brown- Tracht, trug? Beide Inszenierungen waren kleine Bravourstücke gewesen, dazu geeignet, Skeptische zu übertölpeln und Unvorsichtige dazu zu verleiten, weitere Fragen zu stellen und weiteres Geld dafür locker zu machen. Diese Erklärung schien ihm jedenfalls genauso plausibel wie irgendeine andere.
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Peter war froh, aus Pasadena wegzukommen. Seine breiten, kräftigen Finger hatten sich so ums Lenkrad gekrampft, dass er sie erst einmal strecken musste. »Mein Gott noch mal!«, brüllte er, aufs Neue angewidert von dem ganzen New-Age- Zirkusund dem esoterischen Gehabe. Was real existierte, waren das Leben, diese Erde und all die Sinnesfreuden, die man nach menschlichem Ermessen genießen konnte – und danach war es aus und vorbei. Lebe, genieße es, so gut du kannst, und kümmere dich nicht um den Rest. Denn
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