Stimmen
frisch gewaschen und mit seinem beigefarbenen Seidenjackett auch wohl gekleidet, für das Kommende wappnete. Mitsamt der Kleidung, dem grauen Bart, den weit auseinander stehenden, gutmütigen Augen und der Brille verkörperte er jetzt einen Mann, der Gelassenheit und maskuline Würde ausstrahlte. Nur die Pfeife fehlte noch.
Es kann losgehen.
Er trat auf die Veranda hinaus, nahm auf der Schaukel Platz und genoss die Sonne und die kühle, frische Luft.
»Was für ein schönes Haus, Phil«, sagte er. »Ganz im Ernst.«
Ein dunkelblauer Lieferwagen ohne jede Aufschrift, der eine dünne Fahne von Abgas und Staub hinter sich herzog, fuhr die Auffahrt herauf und hielt auf dem Schotter neben dem Porsche. Gleich darauf stieg ein Mann in dunkelbraunem Anzug aus, der einen sperrigen Pappkarton trug.
»Ist das Phils Urne?«, rief Peter von der Veranda herunter.
»Eine Lieferung für Ms. Lydia Richards.« Der Mann hielt den Karton mit beiden Händen weit von sich. Er hatte volles, dramatisch gewelltes graues Haar und ging und sprach mit müder, aber professioneller Würde. Peter fiel ein, dass er früher einmal eine Stripperin gekannt hatte, die einen Leichenbestatter geheiratet hatte. Schließlich war’s bei beiden um menschliches Fleisch gegangen…
»Ich nehme die Lieferung entgegen«, erklärte er.
»Sind Sie von der Familie autorisiert, die sterblichen Überreste von Mr. Philip Daley Richards entgegenzunehmen?«, fragte der würdevolle Mann.
»Ich gehöre zur Familie«, versicherte Peter und unterzeichnete die Lieferbestätigung für Phils Asche.
Kapitel 8
Vorsichtig stellte Peter den Karton auf dem Kaminsims ab, wo er kaum Platz fand.
Die Erklärungen, die er am Morgen für die nächtlichen Ereignisse gefunden hatte, schienen ihm jetzt kaum noch plausibel.
»Lydia, wo genau ist Phil gestorben?«, übte er laut, während er vor dem Kamin stand. »Lydia, ich glaube nicht, dass er im Haus gestorben ist. Bist du im Haus gestorben, Lydia? Denn es war nicht Phil, der heute Morgen hier auftauchte, als es noch dunkel war.«
Er fuhr sich über die Lippen, als wollte er das, was er womöglich von sich geben würde, ein für alle Mal wegwischen. Am besten, er ließ die Totenfeier einfach über die Bühne gehen. Im Unterschied zu Peter war Phil nicht zum Abstinenzler geworden; er hätte ein paar Drinks zu seinen Ehren zu würdigen gewusst. Während ihn feierliche Reden und Reihen von beklommenen, schwarz gekleideten Menschen mit Sicherheit genervt hätten.
Peter blickte auf seine Hände, die zitterten. Er war nicht dafür geschaffen, Menschen, die er liebte, zu verlieren und mit ihrem Tod fertig zu werden. Und Phil hatte er wirklich geliebt. Vielleicht war er nicht dazu ausersehen, anderen ein Freund, Ehemann oder Vater zu sein, vielleicht taugte er überhaupt nicht zum ernsthaften Menschen. Eigentlich, dachte er, und es versetzte ihm einen Stich ins Herz, war er am glücklichsten gewesen, als er es mit einer leichteren Form von Wirklichkeit zu tun gehabt hatte: mit noch jugendlichen, lebendigen Körpern, mit Obszönitäten, mit Partys an Drehorten, die sich manchmal zu fröhlichen Orgien entwickelt hatten. So viel Spaß, so viel Gelächter, wenn er mit großem Block und Markierungsstift herumspaziert war, mit nichts als einem Schlapphut à la Shakespeare bekleidet, seine Akteure und ihre jeweiligen Positionen skizziert und dabei große Reden wie Richard Burton geschwungen hatte; lockere, leichte Gespräche und Küsse, oraler Sex und manchmal auch ein sanfter Fick, so beiläufig wie ein gemeinsames Essen – nur eine Sache unter Freunden.
In den Sechziger- und frühen Siebzigerjahren hatte er bewusst Abstand zu ernsthaften und bedrückenden Dingen gehalten.
Liebend gern wäre er mit Phil auf die tollkühne Alte-Knacker- Tourgegangen, hätte er die nötige Zeit gehabt. Das wäre etwas gewesen, das er mit Phil zusammen hätte genießen können, es hätte wunderbar geklappt. Im Unterschied zu der Situation hier, bei der er seiner Meinung nach nur eine schlechte Figur abgeben konnte.
»Lydia, zündest du gern Räucherstäbchen an? Neigst du dazu, dich in einen Astralleib zu verwandeln?«
Er gab auf.
Als er gegen Mittag, immer noch allein im Haus, hin und her tigerte und zum Kaminsims blickte, fiel ihm auf, wie hässlich der Karton mit der Urne dort wirkte. Er ging hinüber, hob ihn vom Sims und stellte ihn an der ummauerten Feuerstelle ab. Die bronzefarbene Plastikurne im Karton sah einerseits besser,
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