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Stimmen

Stimmen

Titel: Stimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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keine Ahnung, was er mit dem Uhrwerk des Falles meinte. »Was kann ich tun?«
    »Wissen Sie, heute ist es genau zwei Jahre her.«
    Während Peter einen Blick auf den Wandkalender warf, krampften sich seine Finger um den Hörer.
    »Ich möchte den Fall nur noch einmal aufrollen und Ihnen ein paar Fragen stellen. Möglich, dass ich einige der Fragen auch schon früher gestellt habe, vielleicht auch nicht. Ich möchte noch mal neu an die Sache herangehen. Auch Polizisten verändern sich und lernen dazu. Könnte ja sein, dass mir diesmal noch andere Aspekte auffallen.«
    Zwei Jahre waren seit ihrem Tod vergangen. Plötzlich stand Peter das Bild seiner Tochter überaus deutlich vor Augen. Er sah, wie sie über die Veranda ging, mit Helen lachte, als sie die Wäsche zusammenlegten, nach einem Streit mit Lindsey schmollte. Er versuchte, sie in seinem Kopf wieder lebendig zu machen. Darum ging’s doch, oder nicht? Sie so lebendig zu machen, als wäre sie ihm nie genommen worden. Er wollte es so sehr, dass es schmerzte.
    »Und es ist nichts Neues aufgetaucht?«, fragte er.
    »Nein, nichts Neues. Jedenfalls nichts Konkretes.«
    Peter wandte sich langsam in der dunklen Küche um und wickelte die Telefonschnur dabei um seinen Arm. »Wenn ich irgendwie helfen kann…«
    »Das können Sie ganz bestimmt, Mr. Russell. Tut mir Leid, wenn ich mich so aufdränge, aber wonach ich Sie fragen wollte, ist Folgendes: Haben wir auch wirklich jeden befragt, der uns weiterhelfen könnte, mit jedem gesprochen, egal mit wem, ich meine selbst solche Leute, die wir unmöglich als tatverdächtig betrachten konnten… Haben wir jeden verhört, der an Masken interessiert ist…? Auch ich tappe hier im Dunkeln.«
    Peter schloss die Augen. Der Mörder hatte rund um Daniellas Augen und Nase mit einem Gemisch aus Blut und Staub eine Maske gezeichnet, die an einen Waschbären erinnerte. Er spürte, wie sein Blutfluss zu stocken begann, überall im Körper kühl und träge durch die Adern rann, bis auf die Stelle hinter den Augen.
    Seine Augen.
    »Wir haben überall nach einem vergleichbaren Fall gesucht und nichts gefunden, Mr. Russell. Aber wir sind uns sicher, dass diese Person schon früher getötet hat. Fällt Ihnen dabei irgendjemand ein, vielleicht jemand mit einem ausgeprägten Hobby oder ein Sammler, vielleicht auch irgendein Künstler? Jemand, der Sie kennt, Ihnen vielleicht ganz besondere Aufmerksamkeit schenkt… Ich spreche hier von einer Person, die schon früher getötet hat, aber ihre Verbrechen vertuschen konnte. Diese Person würde einen sicheren Ort brauchen, wo sie die Leichen lagern kann, vielleicht sehr viele Leichen…«
    Peter versuchte immer noch, seine Tochter so zu sehen, wie sie im Leben gewesen war. Er wehrte sich damit gegen die Bilder, die sich jetzt auf so schreckliche Weise erneut vor ihm abspulten, und hörte Scragg nicht länger zu. Er konnte und wollte sich nicht auf diese Stimme einlassen, die so unerträgliche, wenn auch unbestreitbare Tatsachen von sich gab. Schließlich machte er die Augen auf, drehte sich in die Gegenrichtung und löste die Telefonschnur von seinem Arm.
    Im Zwielicht der offenen Tür, die von der Küche auf den Gang führte, zeichnete sich der Schatten eines zehnjährigen Mädchens ab. Es war Daniella, nicht Lindsey, da war er sich sicher. Ihr Haar war länger, sie war kleiner, dünner und jünger. Ihr Umriss war deutlich zu erkennen, die Gestalt völlig dreidimensional. Ein blassgelber Lichtfleck schien ihre Körpermitte zu umhüllen. Sie beobachtete ihn, genoss die Beachtung, die er ihr schenkte.
    Scraggs Stimme, die weiter und weiter redete, drang nur noch als fernes Gemurmel an Peters Ohr. Gemurmel aus einer Realität, die in diesem Fall zwar Anteil an ihm nahm, aber dennoch grausam war.
    Jetzt streckte Daniella eine Hand hoch, als wollte sie auf etwas hinweisen. Während Peter hinüberstarrte, spürte er hinter den Augen eine so starke Hitzewelle, als strömte plötzlich tropische Luft herein. Je intensiver er hinsah, desto realer wirkte seine Tochter.
    Seltsamerweise packte ihn Scraggs Stimme jetzt wieder so, dass er zuhörte.
    »… jemand, der ihr vertraut war, jemand, den sie wiedererkannte«, sagte Scragg gerade. »Fällt Ihnen dabei irgendjemand ein, den wir noch nicht verhört haben?«
    »Ich werde sie fragen«, erwiderte Peter.
    »Wie bitte?«
    »Sie ist hier, sie ist wieder da«, murmelte Peter voller Ehrfurcht.
    Was ihn bewegte, war nicht nur die Wiederkehr seiner Tochter, sondern

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