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Stimmen

Stimmen

Titel: Stimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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verantwortlich zu machen ist.«
    Sandaji hob die Hand, um diese Bemerkung recht schroff abzutun, und wandte ihre Aufmerksamkeit Peter zu, wobei sie sich mit geradem Rücken leicht vorbeugte.
    »In den letzten zwei Tagen habe ich Gespenster gesehen«, sagte sie, die schönen Augen fest auf Peter gerichtet. »Es waren Erinnerungen, die wie Rauch an mir vorüberzogen, aber sehr eindringliche. Eindrücke von Orten außerhalb des Hauses. Fetzen eines inneren Gesprächs, weniger Worte als Bilder oder Gerüche, selten Geräusche. Und andere Empfindungen, die ich überhaupt nicht erklären kann. Mein Körper erlebt Phasen von Hochstimmung und von Traurigkeit, die mein Inneres bewegen, obwohl sie Momente im Leben anderer Menschen darstellen. Außerdem habe ich auch Phantasmagorien anderer Körper – Empfindungen, die ich mit meinen Organen, meinen Muskeln, meiner Haut empfange.«
    Trotz seines heimlichen Kummers, vielleicht auch gerade deswegen, musste Peter lachen. »Das ist wirklich verrückt«, sagte er.
    Einen Augenblick lang stimmte Sandaji, charmant wie sie war, in sein Lachen ein, doch gleich darauf flatterten ihre Lider, und sie wurde wieder ernst. »Ich habe mich selbst in diesem Haus gesehen, wobei ich nicht weiß, ob es in der Vergangenheit oder Zukunft war. Und das macht mir Angst – wegen der Geschichten, die mir meine Urgroßmutter erzählt hat, als ich noch ein kleines Mädchen war. Sie hat mich davor gewarnt. Denn wenn man sich selbst erscheint, ist das ein Hinweis darauf, dass man bald sterben wird, wie sie sagte.«
    »Bemerkenswert«, sagte Peter, dessen Nackenhärchen sich jetzt ganz aufgestellt hatten.
    »Mr. Benoliel hat uns eine weitere große Geldsumme dafür angeboten, dass wir ihn auf seinem Anwesen besuchen. Offenbar bedrückt ihn etwas. Nachdem ich meine Entscheidung traf, habe ich mir die Unterstützung von Mr. Schelling gesichert. Hat er Ihnen erzählt, dass er tatsächlich übersinnlich begabt ist?«
    »So gut kennen wir uns ja noch nicht«, erwiderte Peter und sah Schelling an. »Fahren Sie hinaus?«, fragte er.
    »Oh, wir haben den Besuch schon hinter uns. Wir waren gestern da«, erklärte Schelling.
    Peter starrte mit offenem Mund von einem zum anderen. »Ich komme gerade von dort. Joseph hat überhaupt nichts von Ihnen erwähnt.«
    »Ich nehme an, er möchte all das weitgehend unter Verschluss halten«, sagte Sandaji. »Da er Sie jedoch hierher geschickt hat, gehe ich davon aus, dass er uns autorisiert hat, mit Ihnen darüber zu reden. Er hat einiges Vertrauen zu Ihnen. Irgendetwas hat ihn in jüngster Zeit verstört, aber er konnte uns nicht sagen, was oder warum.«
    »Was hat er gesehen?«, fragte Peter.
    Angesichts dieser Wortwahl zog Sandaji eine Augenbraue hoch, gab aber keine Antwort.
    »Sandaji und Mr. Benoliel sind nicht die Einzigen, die verstört sind«, unterbrach Schelling. »Heute waren Jean und ich Zeugen davon, dass ein Kind direkt hier in diesem Wohnzimmer stand. In den Händen hielt der Junge ein Spielzeug, ein Feuerwehrauto. Er war nicht nach unserer Mode gekleidet und ganz bestimmt nicht lebendig oder leibhaftig präsent.«
    Peter sah zu Jean Baslan hoch, die mit bleichem Gesicht nickte.
    »Selbst wenn ich meine Fähigkeiten bis zum äußersten Grad einsetze, sehe ich normalerweise nicht mehr als Fetzen, Hinweise, Umrisse im Augenwinkel«, fuhr Schelling fort. »Aber diesmal war es so, als sähen wir alles durch eine neue Brille. Jean ging’s genau wie mir. Dieser kleine Junge vor uns war so deutlich zu sehen wie Sie jetzt. Bei dem, was ich sah, hätte ich am liebsten geweint. Es wirkte so persönlich, so echt…« Schelling schüttelte den Kopf, während seine Augen noch wässeriger wurden. »Höchst bemerkenswert.«
    Peter schluckte schwer. Die Pause zwischen dem letzten Satz und dem nächsten kam ihm unerträglich lang vor. Er wusste nicht, was schlimmer war: darauf zu warten, was Schelling sagen würde, oder das mit anhören zu müssen, was als Nächstes von seinen eigenen Lippen kommen mochte.
    Der alte Mann senkte die Stimme zu einem leisen, knurrenden Bühnenflüstern. Jetzt klang er so wütend, als beschriebe er einen Affront gegen ihrer aller Würde. Er griff in seine Jackentasche, zog etwas Längliches heraus, das in Stanniolpapier gewickelt war, und legte es auf den Tisch. »Als wir Mr. Benoliel besucht haben, hat uns seine Frau – wir nehmen an, dass es seine Frau war – das hier beim Abschied mitgegeben.«
    Da seine langen dünnen Finger nicht geschickt

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