Stirb ewig
seine letzte Münze hin.« Branson nahm den Deckel von dem Becher, dass der Kaffee auf den Schreibtisch spritzte, und holte ein Mandelcroissant aus einer Tüte, von dem ein Zuckerfaden unmittelbar neben die Kaffeepfütze tropfte. »Mal beißen?«
Grace schüttelte den Kopf. »Du solltest gesünder frühstücken.«
»Ach ja? Damit ich so aussehe wie du? Was hattest du denn? Bio-Weizenkleie?«
Grace zeigte ihm die Packung mit den Kopfschmerztabletten. »Mehr brauche ich nicht. Was treibt dich eigentlich her?«
»Ich muss in zehn Minuten zum Chief. Bin jetzt im Drogenausschuss.«
»Glückspilz.«
»Hast du nicht gesagt, man müsse sich profilieren? Für die Vorgesetzten präsent bleiben?«
»Braver Junge, hast gut zugehört.«
»Eigentlich bin ich aber aus einem anderen Grund hier, Alter.« Branson holte aus der zweiten Tüte eine Geburtstagskarte und schob sie ihm hin. »Alle sollen unterschreiben – ist für Mandy.«
Mandy Walker arbeitete in Brighton beim Kinderschutz, Grace und Branson hatten schon mit ihr zu tun gehabt.
»Hört sie auf?«
Branson nickte und deutete einen dicken Bauch an. »Ich dachte, du wärst heute im Gericht.«
»Wurde auf Montag vertagt.« Er unterschrieb die Karte. Plötzlich rochen Kaffee und Teilchen sehr verlockend. Als Branson in sein Croissant biss, schnappte Grace sich das andere und biss genüsslich hinein. Er kaute langsam und betrachtete dabei Bransons Krawatte, deren geometrisches Muster ihn beinahe schwindlig machte.
»Roy, wir waren doch am Mittwoch in dieser Wohnung.«
»Ja, und?«
»Eins kapiere ich nicht und würde gern deine Meinung dazu hören. Hast du ein paar Minuten Zeit?«
»Was bleibt mir anderes übrig?«
Branson fuhr fort: »Die Sache ist die.« Er biss wieder in sein Croissant, wobei Zuckerguss und Krümel auf Anzug und Krawatte rieselten. »Fünf Typen beim Junggesellenabschied, okay? Dann – «
Es klopfte, und Roys Managementassistentin Eleanor Hodgson trat mit einem Stapel Akten und Papieren ein. Sie war eine recht förmliche, aber effiziente Frau mittleren Alters mit gepflegtem, schwarzem Haar und unauffälligem, ein wenig altmodischem Gesicht. Gerade starrte sie entnervt auf Bransons Krawatte.
»Guten Morgen, Roy. Guten Morgen, DS Branson.«
»Morgen«, erwiderte Glenn.
Sie legte die Sachen auf Roys Schreibtisch. »Der gerichtsmedizinische Bericht, auf den Sie gewartet haben, ist aus Huntingdon gekommen.«
»Tommy Lytle?«
»Ja. Und hier sind noch die Tagesordnung und die Notizen für die Haushaltssitzung um elf.«
»Danke.« Er ging den Stapel flüchtig durch und legte den gesuchten Bericht zuoberst. In Huntingdon in Cambridge befand sich eines der gerichtsmedizinischen Zentren, mit denen die Sussex Police zusammenarbeitete. Tommy Lytle war Grace’ ältester »langsamer Fall«. Vor siebenundzwanzig Jahren war Tommy an einem Februarnachmittag von der Schule nach Hause gegangen und nie wieder aufgetaucht. Die einzige Spur war ein Morris-Minor-Lieferwagen gewesen, dessen Kennzeichen ein geistesgegenwärtiger Zeuge notiert hatte. Doch die Polizei konnte keine Verbindung zum Halter herstellen, einem absonderlichen Eigenbrötler, der wegen sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen vorbestraft war. Vor zwei Monaten nun war der Lieferwagen durch puren Zufall wieder aufgetaucht, als der gegenwärtige Besitzer, ein Oldtimerfan, wegen Trunkenheit am Steuer angehalten wurde.
Die Gerichtsmedizin hatte sich in den vergangenen siebenundzwanzig Jahren in Quantensprüngen entwickelt. Die Fachleute prahlten nicht zu Unrecht, sie könnten mit modernen DNA-Methoden beweisen, ob ein Mensch sich je in einem bestimmten Raum aufgehalten habe, egal wie lange es her sei. Eine Hautzelle, die dem Staubsauger entgangen war, ein Haar oder eine Textilfaser würde genügen. Selbst etwas, das hundertmal kleiner als ein Stecknadelkopf war, konnte eine Spur hinterlassen.
Jetzt besaßen sie den Lieferwagen. Der ursprüngliche Verdächtige war noch am Leben. Und die Gerichtsmediziner hatten das Fahrzeug mit Mikroskopen durchkämmt.
Obwohl er Branson mochte, wäre Grace ihn am liebsten auf der Stelle losgeworden, damit er den Bericht lesen konnte. Wenn er hiermit Erfolg hatte, wäre es landesweit der älteste ungelöste Fall, der noch aufgeklärt würde.
Branson steckte den Rest des Croissants in den Mund und sagte kauend: »Fünf Typen beim Junggesellenabschied, okay? Der Bräutigam ist ein echter Scherzkeks – hat den Jungs samt und sonders üble Streiche gespielt.
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