Stirb ewig
Das eine arme Schwein wurde mit Handschellen im Nachtzug nach Edinburgh an eine Sitzbank gefesselt, obwohl er am nächsten Nachmittag in Brighton heiraten sollte.«
»Netter Mensch«, bemerkte Grace.
»Ja, genau der Witzbold, den man gern zum Freund hätte. Also – was haben wir: Fünf fahren los. Unterwegs geht ihnen der Bräutigam Michael Harrison verloren. Sie haben einen Unfall, drei sind sofort tot, der vierte fällt ins Koma und stirbt gestern Abend. Michael bleibt verschwunden, niemand hat von ihm gehört. Jetzt haben wir Freitagmorgen, und er müsste eigentlich in etwas über vierundzwanzig Stunden vor den Altar treten.«
Branson trank einen Schluck Kaffee, stand auf und lief umher. Dann starrte er auf das Flipchart, auf dem jemand mit blauer Tinte einen Dienstplan skizziert hatte. Er klappte es um, nahm einen Stift und begann zu schreiben.
»Wir haben Michael Harrison.« Er kreiste den Namen ein. »Wir haben vier tote Kumpel.« Zweiter Kreis. »Und die Verlobte Ashley Harper.« Dritter Kreis. »Den Geschäftspartner Mark Warren.« Vierter Kreis. »Und…«
Grace sah ihn fragend an.
»Was haben wir gestern aus seinem Computer gefischt?«
»Ein Konto auf den Cayman Islands.«
Branson setzte sich, Stift in der Hand, wieder an den Tisch.
»Du sagst, der Geschäftspartner war nicht bei dem Junggesellenabend.«
Branson war immer aufs Neue beeindruckt, wie gut sich Grace an Details erinnerte. »Korrekt.«
»Weil sein Flug Verspätung hatte.«
»Sieht so aus.«
»Was hat er denn ausgesagt? Wo vermutet er Michael Harrison? Hat er sich auf die Caymans abgesetzt?«
»Roy, du hast doch den süßen Käfer gesehen. Und wir waren beide der Meinung, dass kein Typ so blöd sein würde, sie sitzen zu lassen – eine Wahnsinnsfrau und obendrein klug. Und…« Branson schürzte die Lippen.
»Und was?«
»Ich habe sie gefragt, ob sie vom Konto auf den Cayman Islands wüsste, was sie verneinte. Ich habe deinen Trick mit den Augen ausprobiert. Sie hat gelogen.«
»Vermutlich will sie ihren Chef schützen – und ihrem Verlobten den Arsch retten.« Grace wurde flüchtig von einer eingehenden Mail abgelenkt. »Was vermutest du denn?«
»Es gibt folgende denkbare Szenarien: Seine Kumpel wollen es ihm heimzahlen und sperren ihn irgendwo gefesselt ein. Oder er hatte einen Unfall. Oder er hat kalte Füße bekommen und die Fliege gemacht. Oder es hat irgendwas mit den Caymans zu tun.«
Grace öffnete eine Mail von seiner Chefin Alison Vosper, die als dringend gekennzeichnet war. Sie erkundigte sich, ob er um halb eins für eine kurze Besprechung zur Verfügung stünde. Er bestätigte den Termin. »Der Geschäftspartner müsste doch wissen, ob die ihn an einen Baum gefesselt haben oder so.«
»Miss Harper sagt, sie hätten etwas geplant, sie wisse aber nichts Näheres.«
»Hast du die Pubs überprüft, in denen sie waren?«
»Kommen heute dran.«
»Material von Überwachungskameras?«
»Damit fangen wir jetzt auch an.«
»Hast du den Lieferwagen gecheckt?«
Die plötzliche Panik in Bransons Gesicht verriet Grace, dass er einen wunden Punkt getroffen hatte.
»Warum denn nicht? Da sieht man doch zuerst nach.«
»Du hast ja Recht. Ich bin noch nicht richtig in dem Fall drin.«
»Hast du sämtliche Häfen benachrichtigt?«
»Ja, das Foto wird heute Morgen rumgeschickt. Wir haben eine Vermisstenmeldung herausgegeben.«
Grace war, als hätte sich eine dunkle Wolke über ihn geschoben. Vermisstenmeldung. Das Wort ließ ihn nie kalt, riss alte Wunden auf. Er dachte an diese Ashley, die Branson ihm beschrieben hatte. Einen Tag vor der Hochzeit verschwindet ihr Bräutigam. Wie musste sie sich jetzt fühlen?
»Glenn, du sagtest, der Typ sei ein Scherzkeks – wäre es denkbar, dass er alle auf den Arm nimmt und morgen mit einem breiten Grinsen aus der Versenkung auftaucht?«
»Wenn vier seiner besten Freunde tot sind? Ganz schön krank.« Branson sah auf die Uhr. »Was machst du heute Mittag?«
»Falls Julia Roberts mich nicht einlädt, habe ich frei – vorausgesetzt, Nr. 27 beansprucht mich nicht länger als eine halbe Stunde.«
»Wie geht es der entzückenden Alison Vosper?«
Grace sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Eher sauer als süß.«
»Je daran gedacht, sie zu vögeln?«
»Ja, etwa eine Nanosekunde lang – oder eine Femtosekunde – ist das nicht die kleinste existierende Zeiteinheit?«
»Könnte deiner Karriere förderlich sein.«
»Da hätte ich bessere Ideen.«
»Zum Beispiel?«
»Den
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