Stirb ewig
verstummte.
»Davey, bitte, Davey, lass mich nicht allein, bitte hol deinen Dad, bitte, Davey!«, flehte er aus tiefster Seele.
Aber Davey war gegangen.
27
ASHLEY HARPER SASS NIEDERGESCHLAGEN in einem tiefen, alten Sessel im winzigen Wohnzimmer des Bungalows, der Michaels Mutter gehörte, und starrte mit tränenverschleierten Augen vor sich hin. Sie trug eine braune Schlabberjeans und ein ausgeleiertes, weißes T-Shirt und betrachtete lustlos den unberührten Teller mit Plätzchen auf dem Couchtisch. Von dort aus wanderte ihr Blick zu dem Farbfoto, das auf dem Sims über dem unechten Kaminfeuer stand – Michael mit zwölf auf seinem Fahrrad –, und weiter durch die Stores auf die regennasse Straße und die Sportplätze unterhalb der Rennbahn von Brighton.
»Die Schneiderin kommt um zwei«, sagte sie. »Was soll ich nur machen?« Sie trank einen Schluck Kaffee und betupfte sich die Augen mit einem Taschentuch. Bobo, Gill Harrisons winziger weißer Malteser, dessen Kopf eine Schleife zierte, schaute zu Ashley auf und jaulte jämmerlich, weil er ein Plätzchen haben wollte. Sie kraulte sein weiches Bauchfell.
Gill Harrison saß ihr gegenüber auf der Sofakante. Sie trug ein formloses T-Shirt, Jogginghose und billige, aber makellos saubere weiße Turnschuhe. Von ihrer Zigarette stieg ein dünner Rauchfaden auf. Ein diamantener Verlobungsring, dessen Stein viel zu groß war, um echt zu sein, funkelte neben dem schmalen, goldenen Trauring. Ein Riviere-Armband baumelte lose vom Handgelenk.
Ihre raue Stimme, die von einem starken Sussex-Dialekt gefärbt war, klang angespannt. »Er ist ein guter Junge. Er würde niemals jemanden im Stich lassen – das habe ich auch der Polizei gesagt. Es passt einfach nicht zu Michael.« Sie schüttelte den Kopf und zog an ihrer Zigarette. »Er macht gern Witze – «, sie stieß ein trockenes Lachen aus. »Als Kind hat er uns Weihnachten mal mit so einem blöden Furzkissen genervt. Hat Leuten immer Angst eingejagt. Aber so was würde er nicht tun, Ashley.«
»Ich weiß.«
»Ihm muss was passiert sein. Die Jungs haben was angestellt. Oder er hatte auch einen Unfall. Verlassen hat er dich nicht. Er war am Sonntagabend noch da, zum Essen. Er hat noch erzählt, wie sehr er dich liebt, wie glücklich er ist. Du hast ihn auch so glücklich gemacht. Er hat von dem Haus auf dem Land gesprochen, das du kaufen möchtest, von seinen Plänen damit.« Sie zog wieder an der Zigarette und hustete. »Er ist ein einfallsreicher Junge.« Sie schürzte die Lippen, und Ashley merkte, wie schwer ihr die Worte fielen. »Seit sein Dad – hat er dir davon erzählt?«
Ashley nickte.
»Er hat die Stelle von seinem Dad eingenommen. Ohne Michael hätte ich es nicht geschafft. Er war so stark. Ein Fels für mich und Carly – Carly wird dir gefallen. Er hat ihr das Geld für das Flugticket nach Australien geschickt, damit sie zur Hochzeit hier sein kann. Sie müsste jeden Moment ankommen. Hat mich vor ein paar Stunden vom Flughafen aus angerufen.« Sie schüttelte verzweifelt den Kopf.
Ashley lächelte ihr zu. »Ich freue mich darauf, sie kennen zu lernen.«
»Ein anständiges Mädchen.«
»Das muss sie sein, wenn sie deine Tochter ist!«
Gill Harrison beugte sich vor und drückte die Zigarette aus. »Weißt du, Ashley, Michael hat sein ganzes Leben lang schwer gearbeitet. Als Kind hat er schon Zeitungen ausgetragen, um mir und Carly zu helfen. Dann kam das Geschäft mit Mark. Niemand weiß das zu schätzen. Mark ist ein netter Junge, aber – «
»Aber was?«
Gill schüttelte den Kopf.
»Verrätst du’s mir?«
»Ich kenne Mark, seit er ein Kind war. Er und Michael waren unzertrennlich. Aber Mark hat ihm immer an den Fersen geklebt. Manchmal glaube ich, er ist ein bisschen eifersüchtig auf Michael.«
»Ich dachte, sie sind ein gutes Team.«
»Ich hab ihn immer vor Mark gewarnt. Michael ist zu vertrauensselig.«
»Wie meinst du das?«
»Du hast einen guten Einfluss auf Michael. Versprich mir, dass du auf ihn Acht gibst?«
Wieder jaulte Bobo nach einem Plätzchen. Ashley beachtete ihn nicht und entgegnete: »Michael ist stark. Es geht ihm bestimmt gut.«
»Ja, natürlich.« Gills Augen huschten zum Telefon auf dem Ecktischchen. »Es geht ihm gut. Er kann jeden Moment anrufen. Die armen Jungs, sie gehörten einfach zu Michaels Leben. Ich kann es einfach nicht glauben – «
»Ich auch nicht.«
»Du bist doch mit deiner Schneiderin verabredet, Liebes, ich würde sie nicht
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