Stirb ewig
einigermaßen guten Rufes erfreute. Mit Max Candille hatte er es mehr als einmal versucht, obwohl er gleich bei ihrem ersten Treffen ehrlich gestanden hatte, dass er einfach keine Verbindung zu Sandy herstellen könne. Manche Menschen hinterließen Spuren, Schwingungen in der Luft oder ihren Besitztümern, hatte Max erklärt. Von anderen wiederum blieb nichts. Es war, als hätte Sandy nie existiert. Max konnte es nicht erklären, konnte nicht ermessen, ob sie selbst oder jemand anders ihre Spuren verwischt hatte. Auch wusste er nicht, ob sie überhaupt noch am Leben war.
Bei Michael Harrison schien Max sich hingegen sicher zu sein. Er nahm das Armband, das Grace von Ashley bekommen hatte, gab es Grace aber sofort zurück, als hätte er sich die Hand daran verbrannt. »Das gehört nicht ihm«, sagte er nachdrücklich. »Definitiv nicht.«
»Wirklich nicht?«, fragte Grace stirnrunzelnd.
»Ich bin mir absolut sicher.«
»Seine Verlobte hat es mir selbst gegeben.«
»Dann müssen Sie sie und sich selbst nach dem Grund dafür fragen. Jedenfalls gehört das hier definitiv nicht Michael Harrison.«
Grace wickelte das Armband behutsam in ein Taschentuch und steckte es wieder ein. Max Candille war ein emotionaler Mensch – und nicht immer im Recht. Doch wenn man seinen Kommentar zu dem Armband mit den Ansichten von Harry Frame kombinierte, sah die Sache schon anders aus.
»Was können Sie mir denn über Michael Harrison sagen?«
Candille deutete auf eine Ausgabe der News of the World. »Meine Lieblingszeitung«, verkündete er. »Ich weiß gern, wer mit wem fickt. Ist viel spannender als Politik.«
»Stimmt schon.« Grace las das Blatt ab und an selbst, gestand es aber ungern ein.
Max blätterte um und hielt die Zeitung hoch, damit Grace die Schlagzeile mit dem Foto von Michael Harrison darunter sehen konnte.
SUCHE NACH VERMISSTEM BRÄUTIGAM.
Max Candille warf noch einen Blick darauf. »Sehen Sie, Sie werden sogar zitiert. › Wir werten das Verschwinden von Michael Harrison nun als mögliches Kapitalverbrechen‹, erklärte Detective Superintendent Roy Grace von der Sussex Police. ›Und wir verstärken die Einsatzkräfte, die das vermutete Gebiet durchkämmen…‹«
Dann sah er Grace an. »Michael Harrison lebt. Definitiv.«
»Wirklich? Und wo ist er? Wir müssen ihn finden, dazu brauche ich Ihre Hilfe.«
»Ich sehe ihn an einem kleinen, dunklen Ort.«
»Könnte es sich um einen Sarg handeln?«
»Das weiß ich nicht, Roy. Es ist zu verschwommen. Ich glaube, er hat nicht mehr viel Kraft.« Er schloss die Augen und drehte den Kopf hin und her. »Nein, er hat kaum noch Kraft, die Batterie ist beinahe leer, armer Kerl.«
»Wie meinen Sie das?«
Wieder schloss das Medium die Augen. »Er ist schwach.«
»Wie schwach?«
»Er schwindet dahin, der Puls ist langsam, viel zu langsam.«
Grace sah ihn erstaunt an. Woher konnte Max das wissen? Waren sie irgendwie über den Äther miteinander verbunden? Oder riet er einfach ins Blaue? »Könnte sich der kleine, dunkle Ort irgendwo im Wald befinden? Oder in einer Stadt? Über oder unter der Erde? Auf dem Wasser?«
»Ich kann es nicht sehen, Roy, wirklich nicht.«
»Wie viel Zeit bleibt ihm noch?«
»Nicht viel. Ich weiß nicht, ob er es schafft.«
64
»SIEH MAL, MIKE, man kann nicht immer Glück haben. Aber wir befinden uns in einer Ausnahmesituation – heute haben wir beide Glück. Wie findest du das?«
Michael war geschwächt vom Fieber und halb im Delirium. Er sah nur Dunkelheit um sich herum. Die Männerstimme erkannte er nicht, sie klang nach Australien und Südlondon, sprach rasch, mit nervöser Modulation. Einer von Daveys Akzenten? Nein, wohl kaum. Sein Gehirn raste. Er war durcheinander. Wusste nicht, wo er war. Noch immer im Sarg?
Tot?
Sein Herz hämmerte, seine Kehle war ausgedörrt, er wollte den Mund öffnen, bekam die Lippen aber nicht auseinander. Eis quälte sich durch seine Adern.
Ich bin tot.
»Du warst in einem eklig feuchten Sarg, bist durchnässt, hättest fast Rheuma bekommen, aber jetzt liegst du in einem schönen, trockenen Bettchen. Wärst beinah gestorben. Vielleicht stirbst du ja nun doch nicht – Betonung auf vielleicht.«
Die Stimme verklang im Dunkeln. Michael sank hinab in einen Fahrstuhlschacht, tiefer, tiefer, die Wände rauschten vorbei. Er wollte rufen und konnte es nicht, brachte nur einen Laut der Panik hervor.
Dann wieder die Stimme, ganz nah, als stünde der Mann neben ihm im Fahrstuhl.
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