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Stirb leise, mein Engel

Stirb leise, mein Engel

Titel: Stirb leise, mein Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Götz
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Joachim werde ich ihm nichts erzählen, das bleibt mein Geheimnis, aber von den Mädchen schon. Ich hab sie so gehasst und tue es irgendwie immer noch, zumindest bereue ich nichts, aber andererseits … was mir jetzt erst bewusst wird … sie waren in meinem ganzen beschissenen Leben die Einzigen, die mich geliebt haben. Und begehrt. Scheiße, wieso krieg ich denn jetzt eine Gänsehaut?
    Ich wünschte, ich wäre wirklich Tristan gewesen, der Tristan, den sie in mir sahen, und hätte ihnen geben können, was sie sich ersehnten. Obwohl … Das habe ich ja. Sie wollten ja sterben. Nicht von Anfang an, aber dann, nachdem ich es in ihnen geweckt habe. Ich glaube, ich habe sie glücklich gemacht.
    Ha, ha!
    Gehe ich gerade meiner eigenen Verführungskunst auf den Leim?
    Überflüssige Gedanken. Viel wichtiger: Reicht mein Zyankali? Ich wünschte, ich hätte noch etwas davon herstellen können. Das Wenige, das ich noch habe, ist schon eine Weile an der Luft. Wird schon klappen.
    Ich schüttle die Cola für die Negerschlampe.
    Allmählich sollte sie ja Durst haben. Aber was mache ich, wenn es doch nicht funktioniert? Sie einfach totschlagen? So wie das mit Joachim gelaufen ist – bloß nicht noch mal!
    Ruhig! Ich muss ruhig bleiben! Wird schon gut gehen.
    Ich werfe die Zigarette weg.
    Auf in den Kampf …
     
    SIE IST WACH. Als ihr der Lichtstrahl ins Gesicht springt, wendet sie es reflexartig ab, kneift geblendet die Augen zusammen. Der Schlafsack ist runtergerutscht. Ansonsten hockt sie noch ziemlich so in der Ecke, wie ich sie gestern platziert habe.
    »Guten Morgen«, sage ich und ziehe den Schlafsack ganz weg, um zu sehen, ob die Kette um ihren Bauch noch richtig sitzt. Eigentlich ja überflüssig, aber ich fühle mich trotzdem besser. Sie zittert am ganzen Körper.
    »Die Fesseln tun weh«, klagt sie.
    »Ja, diese Kabelbinder sind echt fies. Du darfst nicht daran rumzerren, sonst schneiden sie dir noch tiefer ins Fleisch.«
    »Ich versteh nicht, was es dir bringt, mich hier festzuhalten.«
    »Das brauchst du auch nicht zu verstehen.«
    Sie glotzt mich aus ihren großen Augen an. Glaubt sie mir, dass ich ihr nichts antun will? Sie hatte eine Menge Zeit, über alles nachzudenken. Und sie ist um einiges klüger als der Hohlkopf Mirko.
    Ich sehe ihr Gesicht, aber ich hab keine Ahnung, was hinter dieser Stirn vorgeht. Hinter diesen Augen.
    Sie ist bloß ein Gegenstand.
    Was denken, was fühlen Gegenstände?
    »Du hast bestimmt Durst«, sage ich.
    Sie nickt.
    Ich lege die Taschenlampe hin und schraube die Cola auf. Ich nehme die Lampe wieder in die Hand und leuchte in ihr Gesicht, um ihr die Flasche an die Lippen zu setzen. In weniger als zwei Minuten bist du tot, Joy. Und dann gehört Sascha nur noch mir. Für immer und ewig.

39
    ER RISS DIE Augen auf und war sofort da. Irgendetwas war passiert.
    Nein. Es war nur ein Traum gewesen. Ein schlimmer Traum. Sein Vater, der um Hilfe schrie … Er erinnerte sich … Aber er konnte nicht helfen. Sein Vater? War es nicht eher Joy gewesen? Irgendwie beide, hatte er das Gefühl. Der Schrecken, die Angst, die Erschütterung – sie steckten ihm noch tief in den Knochen, als er das Licht anknipste und auf den Wecker schaute. Kurz vor halb fünf. Er setzte sich auf, nahm das Handy vom Nachttisch. Eigentlich musste er nur auf Wahlwiederholung drücken, denn Joy anzurufen, war das Letzte gewesen, was er gestern vor dem Einschlafen versucht hatte. Aber er tat es nicht. Nicht nur wegen der Uhrzeit. Er wusste auch so, dass er sie nicht erreichen würde.
    Die Beklemmung in seiner Brust wollte nicht weichen. Er kannte dieses Gefühl, und auch mitten in der Nacht so aus dem Schlaf zu schrecken, war nichts Neues für ihn. Nach dem Tod seines Vaters war er monatelang jede Nacht so aufgewacht. Mehrmals sogar. Ging das jetzt wieder los?
    Vielleicht half frische Luft. Er stand auf, warf sich eine Jacke über und ging auf den Balkon. Der Morgen war so kühl, dass er trotz der Jacke sofort fröstelte. Er lauschte. War da jemand nebenan?
    »Hallo?«, kam es gedämpft von der anderen Seite.
    Er zuckte erst zusammen, dann schlug ihm das Herz bis in die Schläfen. »Ja?«
    »Bist du das, Sascha?«
    Eine weibliche Stimme, aber nicht ganz so dunkel, nicht ganz so sandig wie die von Joy. Es war die ihrer Mutter.
    »Ja, ich bin’s.«
    »Kannst du auch nicht schlafen?«
    »Nicht so richtig.«
    »Ich war die ganze Nacht draußen und hab sie gesucht.«
    Er konnte nichts sagen. Seine Knie schlackerten. Vor

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