Stirb leise, mein Engel
erzählte. Aber wenn er das tat, würde Mareike ihn noch mehr hassen als jetzt schon.
»Also? Ich warte!«
»Okay, ich sag’s dir. Aber du musst mir versprechen, dass ihre Eltern nichts von dem Einbruch erfahren.«
Sie schnaubte kurz auf. »Ich behalte das sowieso für mich. Deinetwegen. Jetzt rede endlich!«
»Ich war mit einer Freundin von Natalie da. Wir hatten keinen Tipp im eigentlichen Sinn. Sie hat sich nur erinnert, dass sie Natalie dort mal abgeholt hat. Wir dachten, dass es die Wohnung von Tristan ist.«
»Tristan? Wer ist Tristan?«
»Der mysteriöse Typ, der mir …, der mit Natalie zusammen war, bevor sie … Das hab ich dir doch erzählt!«
»Ja, stimmt, ich erinnere mich. Und diese Freundin von Natalie – hat die auch einen Namen?«
Seine Mutter sah ihn ungeduldig an. Es war ein komisches Gefühl, nicht ihr Sohn zu sein, sondern ein Zeuge in einem Mordfall. Denn genau das war es, was sie jetzt in ihm sah. Nur das.
»Mareike. Sie heißt Mareike.«
»Und wie noch? Nachname, meine ich.«
»Äh … Keine Ahnung. Hat sie mir nicht gesagt.«
»Du kennst ihren Nachnamen nicht?«
»Nein. Ich weiß auch nicht, wo sie wohnt, falls das deine nächste Frage sein sollte. Sie war schon mal ein Stalking-Opfer und hat deshalb kaum Infos über sich rausgegeben. Hat sie mir zumindest erzählt. Nur eine Handynummer hab ich von ihr.«
»Aufschreiben.« Sie holte ihm Notizzettel und Kugelschreiber von der Anrichte.
Während er von seinem Handy die Telefonnummer ablas und niederschrieb, lief seine Mutter auf und ab, überlegte dabei angestrengt. »Mareike … Der Name ist mir doch vor Kurzem erst untergekommen.« Sie redete nicht mit ihm, sondern mit sich selbst.
Er schob ihr den Zettel mit der Telefonnummer über den Tisch. »Denkst du, Mareike hängt da irgendwie mit drin?«
Statt zu antworten, nahm sie ihre Jacke, die sie über eine Stuhllehne gehängt hatte, und schlüpfte hinein. »Ich muss noch mal weg. Kann spät werden.«
»Wie immer.«
Sie sah ihn an, nickte. »Ja, wie immer.« Ihr Blick blieb an ihm hängen. »Ich wünschte, du hättest mir das alles früher erzählt. Falls es noch was gibt, was wichtig sein könnte, wäre jetzt der richtige Zeitpunkt, damit rauszurücken. Du darfst keinen Fehler mehr machen. Fehler haben Folgen, kapiert? Böse Folgen. So ein Fehler wäre zum Beispiel, dieses Mädchen anzurufen und zu warnen, sobald ich zur Tür raus bin.«
Er nickte. Dann verschwand sie. Die Polizistin, nicht die Mutter. Die war gar nicht da gewesen.
Verwirrt blieb er zurück, mit einem Gefühl im Bauch, als lägen Bleikugeln in seinem Magen. Wie kam sie dazu, ihm eine Mitschuld an Mirkos Tod zu geben, bloß weil er Mareike nicht früher verraten hatte? Denn nichts anderes hatte sie doch gemeint, als sie sagte:
Fehler haben Folgen. Böse Folgen.
Wie hätte er irgendwas von dem, was geschehen war, voraussehen sollen? Er hatte seiner Mutter von Anfang an gesagt, sie solle nach Tristan suchen, aber sie hatte diese Spur ignoriert. Wenn also jemand Schuld trug, dann sie! Doch statt das endlich einzusehen, hängte sie sich jetzt an Mareike.
Das Piepen seines Handys riss ihn aus den Gedanken. Eine SMS . Von Joy! Konnte sie es etwa nicht erwarten, ihn zu sehen? Die Freude währte nur kurz. Geh gleich ins Kino , las er, melde mich morgen. Joy . Was sollte das? Ließ sie ihr Date einfach platzen? Wieso? Noch dazu, ohne es mit einem Wort zu erwähnen? Und sich zu entschuldigen! Das passte überhaupt nicht zu ihr. Hatte sie es etwa vergessen? Wie konnte sie es einfach vergessen!
»Du kannst mich mal!«, rief er. »Blöde Kuh!« Er wollte ihr schon eine böse SMS schreiben, aber dann ließ er es sein. Cool bleiben, dachte er.
Das coole Herz.
Sie sollte nicht glauben, dass ihm mehr an dem Date lag als ihr.
Nach einer Weile dachte er: Mit wem geht sie ins Kino?
BRUNO. ES KONNTE nur Bruno sein.
Sascha hockte auf dem Bett und starrte auf seine Knie. Aber nicht lange, dann sprang er wieder auf und tigerte durchs Zimmer. Seit Stunden liefen seine Eminem- CD s rauf und runter. Seit Stunden fuhren seine Gedanken und Gefühle Karussell.
Vielleicht hatten sie sich nach ihrem Streit wieder versöhnt. Konnte ja sein. Sie hatten sich erst auf einen Kaffee getroffen, waren danach ins Kino. Dort legte er gerade den Arm um ihre Schultern, sie kamen sich näher. Danach würden sie zu ihm gehen, würden sich noch näherkommen, und dann würde es passieren: Sie würden im Bett landen. So lief das doch.
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