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Stirb leise, mein Engel

Stirb leise, mein Engel

Titel: Stirb leise, mein Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Götz
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Kälte. Und Angst.
    »An allen Plätzen war ich, in allen Lokalen, bin kreuz und quer durch die Stadt gefahren. Ich bin eigentlich nicht ängstlich. Joy weiß sich zu helfen. Aber es gibt Situationen, da ist …«
    Ihm war plötzlich, als kippte der Balkon unter ihm weg. Mit beiden Händen umfasste er die Brüstung, hielt sich fest.
    »Joy ist manchmal launisch. Sprunghaft. Das weiß ich. Und oft ist sie ziemlich frech. Da könnte ich sie an die Wand klatschen. Aber obwohl es so ist, gab es keinen Moment, in dem ich sie nicht geliebt hätte.«
    Keinen. Keinen einzigen. In dem er sie nicht …
    »Eines würde Joy nie tun, Sascha. Niemals. Das weiß ich, und deshalb mache ich mir solche Sorgen. Sie würde mich nie so … im Ungewissen lassen.« Sie seufzte laut. Fing sie gleich an zu weinen? Nein. Sie fragte: »Was denkst du, Sascha, was da los ist?«
    »Äh … Keine Ahnung … ich weiß es nicht …«
    Nein, er wusste nicht, was los war. Aber eines wusste er mit Gewissheit: Sie war nicht bei Bruno. Nicht bei Bruno.
    Wo bist du, Joy? Tu mir das nicht an!
    »Irgendwas ist ihr zugestoßen. Nicht wahr, Sascha? Du spürst es auch. Wir spüren so was – wir, die wir sie lieben …«
     
    JA, ER SPÜRTE es. Und wie er es spürte.
    Er hörte bereits wieder jemanden an der Tür läuten, sah Männer in dunklen Jacken hereintreten, ihn mit diesem gewissen Blick ansehen und sagen:
Es tut mir leid

    Sah seine Mutter ihn umarmen. Tröstend.
Du musst jetzt stark sein …
    Dann fiel ihm ein, dass diesmal niemand zu ihnen kommen würde. Er war nur ein Nachbarsjunge. Ein Kumpel. Einer, der sie eben kurz gekannt hatte.
    Doch nicht nur ein Leben – ihres – würde vorbei sein, sondern zwei: seines auch. Nicht das, das er lebte. Das andere, das er erträumte. Das Leben mit ihr.
    Das Leben, in dem er ihr sagte, dass er sie liebte.
    Das Leben, das längst angefangen haben könnte, wenn er nur etwas mutiger gewesen wäre.
    Wenn er doch bloß nicht gegen seine Gefühle angekämpft, sondern sie benutzt hätte. Um was daraus zu machen.
    Die Trauer. Die Wut. Die Angst. Den Schmerz.
    Die Liebe. Das Glück.
    Das coole Herz.
In das nichts eindrang. Aus dem nichts herausdrang. Es war ein Fehler gewesen. Jetzt wusste er das. Jetzt, da es vielleicht zu spät war.

40
    AM MORGEN STIEFELTE Sascha allein hinab in den Hof, schloss allein sein Fahrrad auf und machte sich allein auf den Weg zur Schule. An der Kreuzung schaute er ein paar schmerzhafte Sekunden lang in die Richtung, in die Joy immer fuhr. Nach dem Aufstehen hatte er kurz überlegt, ob er sich nicht krankmelden und zu Hause bleiben sollte. Aber ihm war rasch klar geworden, dass er die ganze Zeit nur zwischen der Uhr und seinem Handy hin-und herschauen und dabei langsam verrückt werden würde. In der Schule war er wenigstens abgelenkt.
    Wie ein Zombie rollte er auf seinem Fahrrad dahin, bis er bemerkte, dass jemand ungefähr zwanzig Meter vor ihm seinen Motorroller quer über den Radweg schob und dort stehen blieb. Wollte der da parken? Sascha klingelte wild. Da nahm der andere den Helm ab, und erst jetzt erkannte er, wen er vor sich hatte: Mareike! Wo kam die denn her? Und um diese Zeit? Ob die Polizei schon mit ihr gesprochen hatte? Mit einem dumpfen Unbehagen im Bauch bremste er ab und blieb vor ihr stehen.
    »Was machst du denn hier?« Er versuchte, so locker wie möglich zu wirken.
    »Ich musste dich sehen.«
    Ihr Gesicht wirkte blass und noch eingefallener als sonst. Vielleicht lag es aber nur daran, dass sie heute kein Make-up trug.
    »Jetzt ist es gerade schlecht. Ich muss in die Schule. Bin schon spät dran.«
    »Ich brauch dich aber, Sascha, sonst …«
    »Was?«
    Ein paar Radfahrer näherten sich bimmelnd. Mareike schob ihren Roller auf die Fußgängerseite, sodass sie passieren konnten. Dann sagte sie: »Du hast wahrscheinlich von deiner Mutter gehört, dass die Polizei bei mir war.«
    »Allerdings. Du kanntest Mirko schon länger, stimmt’s?«
    Sie nickte. »Aber leider nicht besonders gut. Die Sachen, die wir bei ihm in der Wohnung gefunden haben – ich wusste vorher schon, dass sie da sind. Ich hab sie entdeckt, als ich bei ihm war. Aber ich wollte, dass wir sie gemeinsam finden, weil dir das alles so viel bedeutet hat.«
    »Und woher kanntest du Mirko?«
    »Von der Straße. Er hat mich um einen Euro angebettelt. Weil er mir leidgetan hat, hab ich ihn zum Essen eingeladen. Und mich von da an immer wieder ein bisschen um ihn gekümmert. Er wollte zwar mehr, hat aber

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