Stirb leise, mein Engel
gegeben.«
Sie griff sofort nach dem Umschlag, den er ihr hinhielt, riss ihn auf und las die Zeilen mit einer Anspannung, als hinge ihr Leben davon ab. Was im krassen Gegensatz zu der Beiläufigkeit stand, mit der Androsch die Sache behandelt hatte. Für die Antwort hatte er, so viel hatte Sascha mitgekriegt, einfach die Rückseite ihres Zettels benutzt.
»Bist du in ihn verknallt?«
»Ich? In wen?«
»Na, in Dr. Androsch.«
Bingo! Sie versuchte seine Frage zwar wegzulächeln, aber das gelang ihr nicht, denn ihr Gesicht nahm mehr und mehr die Farbe eines Feuerlöschers an.
»Sorry«, sagte Sascha in ihr verlegenes Schweigen hinein, »geht mich ja auch nichts an.«
Sie stopfte Zettel und Umschlag in ihre Handtasche. »Es ist echt nicht so«, schob sie ein wenig hilflos nach.
Ihre Verlegenheit weckte etwas in Sascha, er wusste selbst nicht genau, was. Mitgefühl? Beschützerinstinkt? Ohne groß zu überlegen, fragte er: »Lust auf ’n Kaffee?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Weiß nicht.«
»Ach, komm. Ich stell auch keine unverschämten Fragen. Ehrenwort.«
»Na dann.« Ihr Kirschmund lächelte, während ihr Gesicht allmählich wieder eine normale Farbe annahm. »Warum nicht?«
Zwei Straßen weiter fanden sie ein kleines Oma-Café, das zu einer Konditorei gehörte und in dem kaum Leute saßen. Sascha wollte in so einem spießigen Laden eigentlich nicht gesehen werden, aber Natalie fand es okay, sie war anscheinend nicht wählerisch. Nachdem sie sich in die plüschigen Sessel hatten sinken lassen, kam sofort die Bedienung an den Tisch gerauscht, eine blondierte ältliche Dame mit weißer Schürze. Sie bestellten beide Cappuccinos.
»Wie lange bist du schon bei Dr. Androsch?«, fragte Natalie.
»Ein paar Wochen.«
»Und wie findest du’s bei ihm?«
»Ganz okay.«
»Also, hör mal, er ist sehr viel mehr als nur okay!«
Sascha zuckte mit den Schultern. Dr. Androsch war nicht das Thema, das ihn interessierte. »Wieso erzählst du mir nicht mal was über dich? Was machst du so? Wenn du nicht gerade vor Androschs Praxis rumstehst und fremden Jungs Zettel in die Hand drückst, meine ich.« Den hatte er sich einfach nicht verkneifen können.
»Ha, ha«, machte sie und verzog den Mund. Ihre Miene entspannte sich aber gleich wieder, sie schaute sich nach allen Seiten um. »Hast du zufällig gesehen, wo hier die Klos sind? – Ah, da.«
Sascha sah ihr nach, beobachtete, wie sie sich zwischen den eng platzierten Tischen durchschlängelte. Hübsch war sie ja, wenn man von ihren zurückgekauten Nägeln mal absah. Irgendwie süß. Und eher deine Liga, hörte er eine Stimme in seinem Kopf sagen. Joys Stimme, wie ihm nach ein paar Sekunden klar wurde.
EINE STUNDE SPÄTER verließen sie das Café in gelöster Stimmung. Wie sich herausgestellt hatte, besuchten sie dasselbe Gymnasium, Natalie zwei Klassen unter ihm. Natalie redete nicht gerne über die Schule. Oder über sich. Dafür konnte sie stundenlang über Musik quatschen.
»Finde ich ja echt toll, dass du Rihanna magst«, fing sie auf dem Weg zur Bushaltestelle wieder an. »Ich dachte immer, Jungs stehen da eher nicht so drauf.«
»Sie hat ein paar richtig geile Songs«, gab Sascha zu. »
Love the Way You Lie
, zum Beispiel. Oder
Umbrella
.«
»Du weißt schon, dass
Love the Way You Lie
eigentlich von Eminem ist, oder? Eminem featuring Rihanna, heißt es. Supergeil ist es aber trotzdem. Ich hab übrigens eine CD mit allen meinen Lieblingssongs von ihr. Kann ich dir brennen, wenn du willst.«
»Klar. Und wie sieht’s mit Filmen aus? Worauf stehst du da so?«
»Alles Mögliche.« Sie überlegte kurz, dann sagte sie: »Wir können ja mal ins Kino gehen. Aber ich such den Film aus.«
»Klar, gerne.«
Läuft ja super, dachte Sascha. Auf jeden Fall war es kein Fehler gewesen, mit ihr einen Kaffee zu trinken. Sie konnte nicht nur richtig nett sein, sondern auch witzig.
Sie erreichten die Haltestelle genau in dem Moment, in dem der Bus einfuhr. Zischend glitten die Türen auseinander. Ein paar Leute stiegen aus, ein paar ein. Sascha half einer jungen Mutter mit dem Kinderwagen, während Natalie schon nach hinten ging, um Sitzplätze zu suchen.
»Alina!«, hörte er sie rufen. »Das ist ja mal eine Überraschung.«
Als er sich umschaute, saß sie schon neben einem blonden Mädchen und redete heftig auf sie ein. Sieht aus, als wäre ich abgemeldet, dachte er enttäuscht. Warum musste diese Freundin ausgerechnet jetzt auftauchen! Einfach das Feld räumen
Weitere Kostenlose Bücher