Stirb leise, mein Engel
platzte ihm der Kragen. »Du spinnst doch! Solche Anschuldigungen, bloß weil Alina sich was zusammenphantasiert hat! Mir tut es echt leid um sie, und ich verstehe, dass du nach Schuldigen suchst, aber das geht zu weit.«
Bruno richtete sich zu seiner ganzen Größe auf und sah Sascha verständnislos an. »Wieso verteidigst du den Kerl?«
Hatte Joy ihm nicht erzählt, dass auch er zu Androsch ging?
»Weil deine Anschuldigungen total daneben sind.«
Ehe der Streit noch weiter eskalierte, warf Joy sich dazwischen. »Einigen wir uns darauf, dass keiner von uns weiß, was wirklich passiert ist, und dass Androsch unschuldig ist, bis das Gegenteil erwiesen ist. Also kein Grund, sich in die Haare zu kriegen.«
Bruno leerte den Rest seines Bieres in einem Zug. »Müsst ihr schon los?«, fragte er dann. »Sonst bestelle ich mir noch eins.«
Sascha hob abwehrend die Hand. »Wenn nichts mehr anliegt, bin ich weg. Die Physik ruft.«
»Ich muss auch nach Hause«, sagte Joy.
Bruno bezahlte ihr Getränk mit. Gemeinsam verließen sie das Café.
»Nichts für ungut«, sagte Bruno auf der Straße. »Wahrscheinlich hast du recht, und es ist nichts dran.«
Sascha spürte, dass er das nur um des lieben Friedens willen sagte. Dennoch kam er ihm entgegen. »Schon okay. Ich hab auch ein bisschen überreagiert.«
Bruno sah Joy an, als erwartete er etwas von ihr, doch sie sagte nur: »Wir telefonieren.« So ging er davon, den Rucksack mit Alinas Tagebuch über der Schulter. Auch wenn er ahnte, dass es nicht von Dauer sein würde, ein bisschen fühlte Sascha sich als Sieger.
»Ich hab mir das alles noch mal überlegt«, sagte Joy auf dem Heimweg. »Wir müssen wissen, ob Androsch wirklich Lailas Therapeut war. Wenn ja, dann bin ich absolut sicher, dass alle Todesfälle mit ihm zu tun haben, auf irgendeine verdrehte Weise.«
»Sehe ich genauso.«
»Fragt sich nur, wie Tristan da reinpassen würde?«
»Keine Ahnung.«
»Vielleicht hat er mit alldem gar nichts zu tun.«
Sascha ignorierte den Einwand. »Ich weiß schon, wie ich das mit Laila rauskriege.«
»Ach ja? Und wie?«
»Ich werde Androsch morgen einfach nach ihr fragen.«
Sie knuffte ihn in die Seite. »Du bist echt so ein Genie. Auf so was Verwegenes wäre ich nie gekommen!«
»Ha, ha.«
WIEDER ZU HAUSE, setzte Sascha sich nicht gleich zurück an seine Physikbücher, sondern legte die CD von Rihanna ein, die Natalie ihm gebrannt hatte. Bruno und Joy gegenüber hatte er Androsch in Schutz genommen, doch nun, ganz für sich alleine, spürte er doch ein leises Unbehagen wegen dem, was Alina in ihr Tagebuch geschrieben hatte. Immerhin war Natalie ebenfalls in Androsch verknallt gewesen. Wenn Brunos Verdacht stimmte, hieß das dann nicht, dass Androsch vielleicht auch ihre Gefühle ausgenutzt haben könnte? Dass er sie – Nein, er mochte es sich gar nicht vorstellen! Der Verdacht war zu absurd. Nur jemand, der Androsch nicht kannte, konnte so etwas für möglich halten.
Jemand hatte die Schwäche der Mädchen ausgenutzt, um sie in den Tod zu treiben, aber nicht Androsch, sondern Tristan. Vielleicht war es ja so: Er suchte labile Mädchen als Opfer, und die fand er am sichersten bei einem Jugendpsychiater. Möglicherweise lauerte er ihnen vor der Praxis auf, sprach sie an, checkte sie ab, und wenn er eine fand, die auf ihn ansprang, begann er sein böses Spiel. Natürlich gab es nicht den geringsten Beweis, dass es wirklich so war. Aber diese Möglichkeit erschien ihm auf jeden Fall glaubwürdiger als anzunehmen, Androsch sei ein Verführer und Mörder.
22
DAS GERÄUSCH WAR so schrill, dass es einem durch Mark und Bein ging. Sascha schaute sich um und bemerkte an der Ecke einen Jungen in einem Hoody, der mit einem spitzen Gegenstand über den Lack eines nachtblauen Autos kratzte und so eine silbrig glänzende Spur hinterließ. Erst auf den zweiten Blick erkannte er, dass es wieder dieser Mirko war, Androschs Sohn. Und auch das Auto hatte er schon mal gesehen. Hatte Mirko beim letzten Mal nicht auf seiner Motorhaube gesessen? Statt auf das Ergebnis seines Vandalismus’ schaute Mirko mit einem hämischen Grinsen zu Sascha herüber. Idiot, dachte der nur und wandte sich ab.
»Hey, du!«
Meinte der ihn? Sascha überlegte, ob er nicht am besten einfach weitergehen sollte. Doch da war er schon stehen geblieben und dabei, sich umzudrehen. Mirko stand immer noch an der Ecke, mit diesem fiesen Grinsen auf dem Gesicht, und rief ihm zu: »Sag meinem Alten, seine Karre hat
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