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Stirb leise, mein Engel

Stirb leise, mein Engel

Titel: Stirb leise, mein Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Götz
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beobachtete die Umgebung. Ein Auto rollte langsam heran, zwei Leute saßen drin. Was guckten die so? Hatten sie was gemerkt? Nein, sie inspizierten nur eine Parklücke, die viel zu klein war, und fuhren weiter.
    »Hm«, machte Mareike.
    Hm
– das war nicht gerade das, was man in einer Situation wie dieser hören wollte. Saschas Adrenalinspiegel kletterte noch höher.
    »Alles klar bei dir?«, fragte er mit belegter Stimme.
    »Das wissen wir in zehn Sekunden – neun – acht –«
    Er hatte aufgehört zu atmen.
    »… fünf – vier – drei –«
    Seine Hand umklammerte den Türgriff. In seinen Ohren gellte schon der Alarm. Dazu Polizeisirenen. Und Blaulichtgeflacker.
    »… zwei – aus. Puh, geschafft.«
    Stille. Erleichtert atmete er durch. Klatschte mit Mareike ab.
    »Deine Hände sind ja total nass.« Sie wischte sich ihre an der Jacke ab.
    »Sorry.«
    Es waren nicht nur seine Hände, wie er jetzt merkte. Das Shirt unter dem Sweater klebte wie eine zweite Haut an ihm.
    »Na, was sagst du jetzt?«
    »Geil!«
    Seine Mutter wäre total ausgeflippt, wenn sie ihn hier gesehen hätte. Diese Vorstellung entlockte ihm jetzt ein zufriedenes Grinsen. Was Joy wohl dazu sagen würde, wenn er es ihr erzählte? Joy. Er wünschte, sie und nicht Mareike wäre bei ihm. Mit diesem überwältigenden Gefühl im Bauch hätte er keine Sekunde überlegt, sondern sie einfach gepackt und geküsst, bis ihr schwarz vor Augen wurde. Scheißegal, was danach war.
    »Woran denkst du?«
    »An nichts Besonderes. Warum?«
    »Weil du so grinst.«
    »Ich finde diese Aktion einfach nur cool, das ist alles.«
    Er schaute sich um. Im Streulicht der Straßenlaternen machte er Flächen an den Wänden aus, Grau in Schwarz. Die Bilder.
    »Komm mit, wir müssen hierhin.«
    Mareike ging voraus in einen kleinen, fensterlosen Nebenraum. Sie hatte zwei Taschenlampen aus ihrer Tasche geholt, schaltete sie ein und reichte ihm eine davon. Er leuchtete im Raum umher. Der Lichtstrahl wischte über einen kleinen Tisch in der Ecke, auf dem Papiere und Stifte lagen, und über Zeichnungen an den Wänden.
    »Die Bilder sind der Hammer«, sagte Mareike. »Schau, das hier ist toll.«
    Sie leuchtete eine Tuschzeichnung an: schwungvoll in eine Fläche aus Aquarellfarben geworfene Linien, die als Ganzes ein Gesicht ergaben. Die anderen Bilder waren in gleicher Weise komponiert: Farbflecken, in die hinein mit Tusche gezeichnet worden war. Nicht nur Gesichter, auch schmale, längliche Körper in verschiedenen Haltungen. Sascha war beeindruckt, wie der Künstler mit wenigen Strichen Bewegung in seine Figuren brachte.
    »Von wem sind die?«, wollte er wissen. Die Signatur war unleserlich.
    »Er heißt René Sommer. Der Typ ist aber total unbekannt. Ich finde ihn trotzdem klasse. Du nicht?«
    Er nickte. »Echt super.«
    Nachdem sie alle Bilder betrachtet hatten, nahm Mareike Sascha die Taschenlampe aus der Hand und ließ sich in der Mitte des Raumes nieder. Abwartend sah er zu, wie sie die beiden Lampen einander gegenüber auf den Boden legte, sodass ihre Lichtkegel sich vereinigten. Dann zauberte sie zwei Flaschen Bier mit Bügelverschluss aus ihrer Tasche und blickte zu ihm auf. »Was ist? Setz dich.«
    Er ließ sich ihr gegenüber nieder und nahm die Flasche, die sie ihm hinhielt. Beide nahmen sie einen Schluck, Sascha einen großen, Mareike nippte nur.
    »Scheiß Rauchmelder«, sagte sie. »Eine Kippe wäre jetzt echt super. Und du? Lust auf Chips?« Sie griff in ihre Tasche, die die reinste Wundertüte zu sein schien.
    »Was hast du da noch alles drin?«, fragte er, als sie eine Packung Chips herausholte und aufriss.
Cheese and Onion
. Joys Lieblingssorte. Der nächste Gedanke: Vielleicht isst sie die jetzt auch gerade, und zwar mit Bruno. Auf seiner WG -Couch.
    Und wenn schon, dachte er dann, das hier ist genauso cool. Er griff sich eine Handvoll Chips, steckte sie in den Mund und fragte kauend: »Machst du so was öfter?«
    »Was?«
    »In Galerien einsteigen und so.«
    »Ist doch viel geiler, als tagsüber durchzulatschen. Und wir können hier sitzen und Bier trinken und Chips essen und das Licht …«
    Die Atmosphäre, die die beiden Taschenlampen schufen, war wirklich schön. Romantisch.
    Er hörte abrupt auf zu kauen.
    Ging es hier etwa um Romantik?
    Schnellspanner!, rief ihm eine Stimme in seinem Kopf zu, die verdächtig nach Joy klang. Hast du wirklich geglaubt, ihr seid hier wegen ein paar Bildern?!
    Er wusste selbst nicht, was er geglaubt hatte. Jedenfalls nicht,

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