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Stirb, mein Prinz

Stirb, mein Prinz

Titel: Stirb, mein Prinz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tania Carver
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nickte. »Ich rufe Eileen an und sage ihr, dass wir zwei Leute mehr zum Abendessen erwarten.«
    »Danke, Don.«
    Don nickte und wandte den Blick ab.
    Und in dieser Geste, dieser traurigen kapitulierenden Geste angesichts der eigenen Überflüssigkeit, sah Mickey seine eigene Zukunft. Er war sich sicher, dass Phil ähnlich empfand.
    »Alles klar.« Fennell sah auf die Uhr. »Dann machen wir uns jetzt auf den Weg.«
    Phil sah zu Marina. »Wir auch. Viel Glück Ihnen allen. Wir werden es brauchen.«
    110 Lynn Windsor nahm einen Schluck aus ihrem Glas und blickte von ihrem Balkon in die Ferne.
    Es war dunkel geworden. Sie konnte die Lichter auf der anderen Seite des Flusses sehen, den Verkehrsstrom, der sich stadtauswärts bewegte. Dahinter reichte der Blick den Hügel hinauf bis ins Stadtzentrum. Eigentlich war die Aussicht wunderschön. Sie hatte ja auch teuer dafür bezahlt. Aber sie konnte sich nicht daran erfreuen. Nicht an diesem Abend. An diesem Abend konnte sie sich an nichts erfreuen.
    Noch ein Schluck, ein größerer.
    Als Michael sie nach Hause gefahren hatte, war er irgendwie seltsam gewesen. Abwesend. Distanziert. Aber gleich­zeitig auch traurig. Die wenigen Male, die er sie während der Fahrt angesehen hatte, war sein Blick betrübt, fast tränenfeucht gewesen. Auch sie hatte ihm nicht in die Augen schauen können. Sie beide wussten, ohne es aussprechen zu müssen, dass das, was als Nächstes kommen würde, nichts Gutes sein konnte.
    Er hatte sie aussteigen lassen und war dann rasch davongefahren. Hatte noch etwas sagen wollen, es dann aber doch nicht getan.
    Also war sie in ihre Wohnung gegangen. Hatte sich geduscht und umgezogen. Hatte den Weißwein im Kühlschrank stehen lassen und gleich zum Whisky gegriffen.
    Und jetzt stand sie im Bademantel auf dem Balkon, trank und sah in die Nacht hinaus. All die Menschen dort unten. In ihren Autos, auf den Straßen, in den Zügen, in ihren Häusern. All diese Menschenleben, so gewöhnlich. So kurz.
    Früher einmal hätte sie sie als langweilig abgetan. Ein Leben wie mit Scheuklappen. Menschen, die nicht in der Lage waren, alles zu erleben, zu tun, was immer sie wollten. Eingeengt, gefangen in Konventionen. In Angst. Lynn war anders gewesen, und das hatte sie mit Stolz erfüllt. Sie hatte alles erleben, bis an die Grenzen gehen wollen. Sie hatte führen wollen, herrschen. Sie hatte Macht haben wollen. So war sie erzogen worden: nicht nur dazu, sich überlegen zu fühlen, sondern dazu, überlegen zu sein .
    Sie war in jeder Hinsicht die Tochter ihrer Mutter.
    Und wo hatte sie das hingeführt?
    Die Hand, in der sie das Glas hielt, zitterte. Sie nahm noch einen Schluck. Einen ganzen Mundvoll. Spürte, wie die Flüssigkeit auf dem Weg durch ihre Kehle brannte.
    Sie hatte es nicht anders verdient.
    Was sie getan hatte. All die Dinge, für die sie die Schuld trug. Die Menschenleben, die sie in den Dreck getreten hatte. Nicht sie persönlich. Das nicht, niemals. Aber sie war daran beteiligt gewesen, hatte im Hintergrund die Fäden gezogen. Stark. Mächtig.
    Tränen traten ihr in die Augen. Erneut blickte sie auf die Stadt hinab. Dachte an all die Existenzen, die sie beherrscht und zerstört hatte. An all die Menschen, die jetzt noch leben könnten. Wie die Leute dort unten, jeder mit seinem eigenen kleinen, gewöhnlichen Leben. Seinem wunderschönen Leben, so wie sie nie eins haben würde.
    Lynn dachte auch an Mickey Philips. An den Abend mit ihm. Durch ihn hatte sie eine Ahnung von einem anderen Leben bekommen. Einem besseren, glücklicheren Leben. Da war eine Verbindung zwischen ihnen gewesen, eine echte Verbindung. Und sie hatte sie durchtrennt. Hatte nicht anders gekonnt. Er hätte es niemals verstanden. Dann dachte sie an den Nachmittag im Vernehmungsraum. Und daran, wie er sie beinahe gehabt hätte. Noch ein klein wenig länger … und es wäre das Ende gewesen.
    Vielleicht hätte sie es einfach tun sollen. Ihm sagen, was er hören wollte. Sie wusste ohnehin, was jetzt passieren würde. Wusste, dass es kein Zurück mehr gab. Ihr haftete jetzt ein Makel an. Sie war unbrauchbar geworden. Das musste sie akzeptieren.
    Noch einen Schluck. Ihr Glas war leer. Sie bückte sich und goss sich neu ein. Stellte die Flasche zurück auf den Boden. Als sie ein Geräusch hinter sich hörte, drehte sie sich nicht um.
    »Ich habe mich selbst hereingelassen«, sagte eine vertraute Stimme.
    Er trat zu ihr auf den Balkon. Sie wandte sich um. Sah Glass’ Gesicht, wie auch er über die

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