Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stirb, mein Prinz

Stirb, mein Prinz

Titel: Stirb, mein Prinz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tania Carver
Vom Netzwerk:
Stadt schaute. Noch einen großen Schluck. Er brannte.
    Keiner sagte ein Wort. Für sie war es ein schicksalsergebenes Schweigen. Für ihn, das wusste sie, ein erwartungsvolles.
    »Ich weiß, warum du hier bist«, sagte sie und trank noch ein wenig. Ihr Blick verschwamm einen Moment lang.
    Er seufzte. »Das hätte ganz anders enden können, weißt du.«
    »Ja, ich weiß.« Noch ein Schluck, dieses Mal größer.
    »Ich hatte Hoffnungen in dich gesetzt. So große Hoffnungen …« Er strich ihr über die Schulter.
    Sie hatte seine Berührung schon so oft gespürt. War ihrer nie müde geworden. Jetzt wollte sie einfach nur in seine Arme fallen und schlafen, bis alles vorbei war.
    Sie nahm noch einen Schluck. Schon wieder war das Glas leer. Sie schenkte sich nach.
    »Vorsicht«, mahnte er. »Trink nicht alles aus. Gut, dass ich dir noch eine mitgebracht habe.«
    Er stellte eine identische Flasche neben die erste. Gleiche Marke, gleiche Größe. Ihr fiel auf, dass er Latexhandschuhe trug.
    »Und hier.« Er fasste in seine Jackentasche, holte ein kleines braunes Plastikröhrchen hervor und schüttelte es. »Damit du besser schlafen kannst.«
    Sie nahm das Röhrchen von ihm entgegen. Nickte.
    »Ich warte solange«, sagte er.
    »Das dachte ich mir.« Obwohl sie so viel getrunken hatte, war ihr Mund trocken. Sie schraubte den Verschluss des Röhrchens ab und schüttete sich mehrere Tabletten in die Hand. Sie nahm eine nach der anderen und spülte sie mit Whisky hinunter.
    Er sah ihr dabei zu.
    Die Tabletten ließen sich leicht schlucken. So leicht.
    »Und noch eine Handvoll«, sagte er.
    Sie tat wie geheißen. Die Menge an Whisky wurde mit jeder Tablette größer.
    Inzwischen ließ sie ihren Tränen freien Lauf. Ihr Blick war so verschwommen, dass sie die Stadt unter ihnen kaum noch erkennen konnte.
    Ihr Schluchzen wurde lauter. Er versuchte sie zu beruhigen, sie zum Schweigen zu bewegen. Nicht unfreundlich. Ganz sanft. Wie ein Liebhaber es tun würde. Sie bemühte sich, leise zu sein.
    Bald darauf war das Tablettenröhrchen leer. Sie ließ es auf den Balkon fallen.
    »Braves Mädchen«, sagte er. »Jetzt dauert es nicht mehr lange.«
    »Wirst … wirst du bei mir warten?«
    Er sah auf die Uhr. Dann zu ihr. Sie glaubte Ungeduld zu sehen. Blinzelte. Die Ungeduld war aus seinen Augen verschwunden.
    »Ja«, sagte er. »Ich warte bei dir.«
    Er stand neben ihr, beobachtete sie.
    Allmählich wurde sie müde. In ihrem Kopf begann sich alles zu drehen. Sie schloss die Augen.
    »Trink noch was«, hörte sie ihn sagen.
    Sie trank.
    »Braves Mädchen.«
    Erneut schloss sie die Augen. Die Stadt entglitt ihr. Der Balkon. Die Wohnung. Er. Auf einmal war es eine Anstrengung, stehen zu bleiben. Also setzte sie sich. Sie hörte Glas zerbrechen. Hatte nicht die Kraft nachzusehen, was es war und woher es kam. Sie wollte nur noch ausruhen.
    Dann wurde auch das Sitzen zu anstrengend. Sie musste sich hinlegen. Sie tat es. Hörte seine Stimme.
    »Ich finde allein raus.«
    Vom anderen Ende eines langen schwarzen Tunnels. Hatte nicht die Kraft, fand nicht die Worte, ihm zu antworten. Ließ ihn gehen.
    Müde. So müde. Schlafen. Sie wollte schlafen. Das wäre so schön.
    So …
    Lynn Windsor schlief.

    111 »Bist du dann so weit?«
    Marina nickte und stieg ein. Sie fuhren los in Richtung Halstead.
    Keiner sprach. Johnny Cashs Unchained war ihr Soundtrack.
    »Geht es dir gut?«, fragte Marina irgendwann leise.
    Begleitet von wunderschönen Gitarrenakkorden, sang Johnny Cash davon, dass dort, wo er herkam, alles mit einem Südstaatenakzent gemacht wurde.
    Phil nickte. »Ich beiße mich durch. Du weißt schon.« Er drehte sich zu ihr. Lächelte. »Das wird schon wieder.«
    Sie legte eine Hand auf sein Bein. Er ließ es geschehen.
    Auf den Straßen Richtung Halstead waren mehr Autos unterwegs als erwartet. Sie waren noch in den letzten Feierabendverkehr geraten. Mit der Dunkelheit war Regen gekommen. Er fegte vor ihnen über die Straße und prasselte auf die Windschutzscheibe wie diamanthartes atmosphärisches Rauschen. Die Autos fuhren langsam auf den kurvenreichen Landstraßen, krochen die Hügel hinauf und mussten rutschigen Stellen und Wasserpfützen ausweichen.
    Sie durchquerten die Dörfer entlang des Flusses Colne, und irgendwann kam Halstead in Sicht.
    An der Kreuzung im Stadtzentrum bog Phil rechts ab. Von hier aus konnte er den Hügel auf die alte Mühle hinunterschauen, die den Mittelpunkt der Ortschaft bildete. Halstead war ein alter Marktort.

Weitere Kostenlose Bücher