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Stirb, mein Prinz

Stirb, mein Prinz

Titel: Stirb, mein Prinz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tania Carver
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Daneben, im Schatten verborgen, stand ein zweites Bett und an dessen Fuß ein kleiner zerbrochener Tisch. Wahrscheinlich aus den Müllcontainern des Hotels gerettet , dachte Phil. Er lenkte den Lichtstrahl auf das hintere Bett. Und zuckte zurück, als hätte ihm jemand einen Schlag versetzt.
    Auf dem Bett lagen die Überreste einer mumifizierten Leiche. Die Kleider waren verrottet. Unter der Haut, die aussah wie staubiges altes Leder, zeichneten sich die Knochen ab. Doch mit der Leiche war man ehrerbietig umgegangen. Zu beiden Seiten des Betts standen Kerzen.
    Phil wandte den Blick ab und nahm sich stattdessen den kleinen Tisch vor. Er war mit denselben Symbolen bemalt wie die Wände des Kellers in East Hill. Der Kalender. Auf dem Tisch lagen mehrere Gegenstände, als hätte dort vor Jahrzehnten jemand seine Taschen ausgeleert. Sie waren ­arrangiert wie Opfergaben auf einem Altar. Phil trat näher, um sie sich an­zusehen. Ein Feuerzeug. Ein paar Perlen. Eine Armbanduhr, deren ledernes Armband halb zerfallen war. Eine Brieftasche.
    Er streckte die Hand aus und klappte sie vorsichtig auf, ängstlich, dass sie unter seinen Fingern zu Staub zerfallen könnte.
    Es steckte noch Geld darin. Ein-Pfund-Scheine. Zehner. Fünfer. Allesamt mehrere Jahrzehnte alt. Ein Bibliotheksausweis, seit langem abgelaufen. Phil kniff die Augen zusammen und versuchte den Namen darauf zu entziffern.
    Paul Clunn.
    »Oh mein Gott …«
    Dann: ein Geräusch. Ein Echo.
    Phil fuhr mit der Taschenlampe herum und stieß sich an der niedrigen Decke. Er rieb sich den Kopf. Sah sich um. Lauschte angespannt. Alles, was er hören konnte, war das Rauschen des Blutes in seinen Ohren.
    Er versuchte den Schmerz wegzublinzeln, lauschte weiter.
    Nichts. Kein Geräusch mehr. Erneut leuchtete er mit der Taschenlampe die Wände ab, und diesmal fiel ihm auf, dass auch sie die Zeichnungen trugen. Sie waren alt, die Farbe undefinierbar dunkel.
    Es war nicht Paul, der hier unten hauste, so viel stand fest. Wer auch immer es war, es war nicht Paul.
    Der Gärtner? War das möglich?
    Phil sah sich den Schacht an, den er hinuntergefallen war. Suchte nach Stellen, wo er seine Füße hinsetzen könnte. Der Fels war glatt und eben, der Schacht gerade breit genug für seinen Körper. Er versuchte hinaufzuklettern. Fand keinen Halt. Rutschte wieder nach unten.
    Erneut blickte er sich um. Allmählich meldete sich die Angst. Phil hasste enge Räume. Er hatte zeitlebens an Klaustrophobie gelitten. Unter der Erde war es noch schlimmer.
    Noch einmal versuchte er, sich im Schacht hochzuziehen. Er streckte seine Ellbogen vor und zog den Körper mit aller Kraft nach. Die Öffnung war nicht groß genug. Er versuchte es erneut.
    Seine Ellbogen verklemmten sich. Er konnte sich nicht mehr bewegen.
    Sein Atem ging schneller. Er spürte Panik in sich hochsteigen. Auf keinen Fall wollte er hier stecken bleiben. Es war unmöglich zu sagen, wann Marina mit dem Seil zurückkam. Es gab nur eins.
    Er entspannte die Arme und konnte sich wieder bewegen. Schob sich im Schacht nach unten, bis er auf den Boden fiel, genau an die Stelle, wo er schon beim ersten Mal gelandet war.
    Er richtete sich auf, soweit die niedrige Decke es erlaubte. Ließ den Blick durch die Höhle wandern und überlegte. Wer auch immer hier unten lebte, musste einen zweiten Ausgang haben. Der Weg, den er gekommen war, war eine Einbahnstraße. Phil ging in die Knie und suchte mit Hilfe der Taschenlampe den Boden in der Nähe der Wände ab. Er hielt Ausschau nach Spalten, Tunneln oder Ähnlichem.
    Er fand mehrere Öffnungen. Die meisten sahen aus wie Risse im Fels. Sie waren nicht breit genug, um sich hineinzuzwängen, und endeten irgendwann. Doch einen Spalt gab es, der sich zu einem Tunnel zu verbreitern schien. Er war eng, aber gerade groß genug, dass man hineinkriechen und bäuchlings auf den Ellbogen vorwärtsrobben konnte. Oder rückwärts, falls nötig.
    Vermutlich.
    Wieder hörte er ein Geräusch im Fels widerhallen. Es klang wie ein Schrei.
    Ein Schmerzensschrei. Ein Angstschrei.
    War das ein Tier? Oder ein Mensch? Und noch wichtiger: Kam es aus dem Tunnel, in den er kriechen wollte?
    Er musste es herausfinden.
    Er nahm die Taschenlampe zwischen die Zähne, legte sich flach auf den Bauch und zwängte sich durch die schmale Öffnung.
    Er musste an ein ähnliches Erlebnis zwei Jahre zuvor denken. Er musste auch daran denken, was ihn damals am Ende des Tunnels erwartet hatte. Er spürte, wie sein Atem sich beschleunigte.

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