Stirb mit mir: Roman (German Edition)
und kein Ort, den jemand tatsächlich benutzte. Sie dachte an ihr eigenes Bad, die Wanne mit der abgeblätterten Farbe, die verschmierten Duschgels aus dem Supermarkt, die zusammengewürfelten Kosmetikprodukte und die abgenutzten Zahnbürsten, die dringend ersetzt werden mussten.
In einem Spiegelschrank entdeckte sie die elektrische Zahnbürste in ihrer Halterung. Gab es im St. Theresa dazu überhaupt die passenden Steckdosen? In dem Schrank war auch eine Kulturtasche, die Cate mit Zahnbürste, Zahncreme, Reinigungsmilch, Feuchtigkeitscreme, einem Deodorant von Clarins und einer Packung Paracetamol füllte. Nach kurzem Nachdenken legte sie die Tablettenpackung zurück ins Regal, wo eine Reihe weiterer extravaganter Produkte standen. Cate las die Namen – Crème de la Mer und La Prairie –, die sie nur aus den Werbeanzeigen in Zeitschriften kannte und die sie sich niemals hätte leisten können. Wie Alice das mit ihrem Dozentengehalt schaffte, war ihr unerfindlich. Aber vielleicht waren es ja Geschenke.
Aus reiner Neugier tupfte sie sich einen Hauch Chanel N° 5 auf das Handgelenk, ehe sie die Parfumflasche zu den anderen Artikeln in der Tasche steckte. Danach hatte sie Schwierigkeiten, den Reißverschluss zuzuziehen. Sie verließ das Bad, um die kleine Reisetasche zu suchen, die sich laut Alice im Schlafzimmer befand.
Auch dieser Raum war penibel sauber und ordentlich, und aufgrund der weißen Wände und der cremefarbenen Tagesdecke auf dem Bett kam er ihr wie eine leere Leinwand vor. Die Kissen in unterschiedlich blassen Farben lehnten am Kopfteil des Bettes, eine Anordnung, die ebenfalls bemüht und künstlich wirkte. Ohne dass sie es wollte, erschien das Bild des nackten, blutigen David Jenkins vor ihrem geistigen Auge. Kein Wunder, dass dem armen Flynn übel geworden war. Ihr wäre es bei dem Anblick nicht anders ergangen. Von den Blutspritzern war auf der weißen Wand hinter dem Bett nichts mehr zu erkennen. Sie waren übertüncht worden.
Der einzige Farbfleck in dem Raum war eine Mahagonitruhe. Darauf stand die Kosmetiktasche, die Cate nicht vergessen durfte. Alice hatte ihr das mehrfach eingeschärft. Sie nahm die Tasche. Durch den Stoff konnte sie Lippenstifte, Pinsel und die scharfen Kanten einer Puderdose spüren. Auf der Frisierkommode entdeckte sie einen grauen Lidschatten in einer geöffneten Schatulle. Der Pinsel lag daneben, ebenso eine aufgeklappte Schatulle mit violettem Lidschatten und eine Dose mit gelblichem Gesichtspuder. Cate wunderte sich über diese Anzeichen von Nachlässigkeit. Es sah aus, als sei Alice beim Schminken in großer Eile gewesen. Allerdings schienen ihr die Farbtöne zu dunkel und wollten so gar nicht zu Alice passen. Irgendetwas stimmte hier nicht, nur leider konnte sie nicht benennen, was.
Um ihre Eindrücke zu sortieren, trat Cate an das große Erkerfenster und schaute hinaus. Die Aussicht erinnerte sie an eine Ansichtskarte mit Dorfstraße, einer schönen Kirche am Hang, einem Friedhof mit einem verschnörkelten Tor aus Schmiedeeisen, dahinter ein Pfad aus gelben Ziegelsteinen. Als sie den Hals reckte, entdeckte sie weiter unten an der Straße eine Fleischerei, einen altmodischen Teeladen und ein Delikatessengeschäft. Es war eine hübsche Ecke von Lavenham. Was die Nachbarn über die Vorfälle in diesem Haus dachten, mochte der Himmel wissen.
Sie spähte noch einmal zum Friedhof hinüber und sah, dass jemand auf der Bank neben der Kirche saß. Jemand, der zu ihr herüberschaute und sie beobachtete. Cate strengte die Augen an, erkannte Stachelhaar, Ledermantel, Gesicht und Augen, die das Erkerfenster fixierten. Als sich ihre Blicke trafen, stand die Person abrupt auf, steckte die Hände in die Manteltaschen und ging davon.
Cate wandte sich ab. Kurz darauf entdeckte sie die Reisetasche oben auf dem Kleiderschrank. Sie schob einen Stuhl vor den Schrank, stieg darauf und holte die Tasche herunter. Dann begann sie, die Sachen einer anderen Frau für deren anderes Leben zu packen. Sie dachte an die teuren Kosmetikprodukte, die Alice zu einer Zeit gekauft hatte, in der ihr Aufenthalt im St. Theresa für sie noch unvorstellbar gewesen war.
Der Kleiderschrank aus Kiefernholz war ebenfalls weiß gestrichen. Cate öffnete ihn und betrachtete die Kleidungsstücke, für die die meisten Frauen Gott weiß was gegeben hätten. Elegante Hosen, Kleider, Blusen und Röcke, allesamt Designerstücke. Sie hingen jeweils zusammen, zuerst die Blusen, dann die Röcke, die Hosen
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