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Stirb mit mir: Roman (German Edition)

Stirb mit mir: Roman (German Edition)

Titel: Stirb mit mir: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Dugdall
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und zuletzt die Kleider. Die einzelnen Gruppen waren nach Farben geordnet, Weiß und Beige – das waren die meisten – dazu einige wenige Teile in Schwarz und Rot. Es wirkte eindrucksvoll und gleichzeitig gezwungen. Ebenso wie die Bücherreihen in ihrem Büro war alles ästhetisch korrekt und abweisend zugleich. Bequem schienen nur die dunkle Jeans und ein hellblauer Pullover zu sein. Cate nahm sie aus dem Schrank, denn die Leinenkleider und Seidenblusen würde Alice in einer psychiatrischen Klinik wohl kaum brauchen.
    Auf dem Schrankboden standen aufgereiht mehrere Kisten aus Plexiglas, in jeder ein Paar Schuhe. Liebe Güte, dachte Cate, so also leben andere Menschen. Sie selbst hatte Schwierigkeiten, ein Paar passende Socken zu finden, diese Frau dagegen hatte ihr ganzes Schlafzimmer mit militärischer Präzision durchorganisiert und unter Kontrolle. Ihr fiel ein, dass Alice auch Unterwäsche brauchte. Sie trat an die Kommode und zog die oberste Schublade auf. Doch die enthielt nur ein Kleidungsstück: eine Strickjacke für ein Kind.
    Verwundert holte Cate die Jacke heraus.
    Sie war aus fliederfarbener Wolle. Von jemandem gestrickt, der offenbar ungeübt darin war. Der Knopf glich einer Perle. An einer Stelle war eine Masche gefallen und ein Loch entstanden. Die Jacke war abgewetzt, aber immer noch weich. Cate nahm an, dass Alice sie als Kind getragen hatte. Sorgfältig faltete sie das Kleidungsstück wieder zusammen, legte es zurück und drückte die Schublade zu. Auf einmal war es wieder da – dieses Gefühl, dass hier irgendetwas nicht stimmte.

Fünfzehn
    1981    Es war das Schönste, was Alice jemals gesehen hatte. Und Mummy hatte es für sie gemacht.
    »Ich habe sie nachts gestrickt, wenn du geschlafen hast«, sagte ihre Mutter. »Es hat eine Ewigkeit gedauert.«
    Alice berührte die schöne fliederfarbene Wolle und den glatten perlweißen Knopf, rieb ihr Gesicht an der Jacke und spürte das Weiche an ihrer Wange. Sie schloss die Augen. Die Jacke war wundervoll.
    »Probier sie mal an«, sagte Mummy. »Sie könnte dir ein bisschen zu groß sein.« Aber das war sie nicht. Sie passte genau. »Die kannst du anziehen, wenn du ab der nächsten Woche in den Kindergarten gehst. Ich habe ein Schildchen mit deinem Namen reingenäht, damit sie nicht verloren geht.«
    »Die verliere ich nie«, sagte Alice, schlang die Arme um den Hals ihrer Mutter und gab ihr einen Kuss. »Die ziehe ich immer und ewig an.«
    »Vielleicht ziehst du sie besser jetzt schon an. Draußen ist es kalt.«
    Es war kalt, zu kalt, um draußen zu spielen, aber sie gingen trotzdem in den Park. Dort gab es eine Schaukel, ein Karussell und eine rote Rutschbahn, die an dem Tag nur ihnen gehörten. Alle anderen waren zu Hause im Warmen geblieben. Alice trug die fliederfarbene Strickjacke, darüber einen blauen Mantel und an jedem Arm eine orangerote Neonmanschette, damit die Autofahrer sie sahen und ihr nichts passierte, wenn sie an der Hand ihrer Mutter ging.
    Mummy wollte wieder nach Hause. Sie hatte aufgesprungene Lippen, über die sie ständig mit der Zunge fuhr, was es nur noch schlimmer machte, und vom Anstoßen der Schaukel hatte sie kalte Hände. Doch Alice ließ nicht mit sich reden.
    »Noch mal, Mummy. Schubs mich noch mal an.«
    Die Hände ihrer Mutter umfassten ihren Rücken, berührten die Schulterblätter, die wie Flügel waren, und stießen sie höher und höher hinauf. Alice streckte die Beine aus, zog sie wieder an und versuchte, sich so in die Luft zu katapultieren. Sie wollte fliegen. Was wäre, wenn die Schaukel bis hoch zur Stange schwingen würde oder gar darüber hinaus? Würde sie dann fliegen?
    Mitten in der Luft hielt die Schaukel abrupt an. Ihre Mutter hatte das Sitzbrett gepackt und festgehalten. »Das reicht jetzt. Komm, wir gehen nach Hause.«
    Sie führte das Sitzbrett zurück und griff nach Alice. Das Mädchen sprang auf und stieß dabei mit dem Kopf unter das Kinn ihrer Mutter. Mummy fing sofort an zu bluten. Sie ließ Alice los, krümmte sich und drückte eine Hand auf ihren Mund. Auf dem schwarzen Teerboden sah man rote Tupfer.
    »Mummy?«, fragte Alice ängstlich und verwirrt. Sie wusste nicht, ob Mummy ihr böse war.
    »Meine Zunge«, sagte ihre Mutter. »Du bist gegen mein Kinn gekommen, und ich habe mir auf die Zunge gebissen.«
    Sie streckte die Zunge heraus. Sie war rosa, aber an der Spitze quoll es rot hervor, wie bei einer gefüllten Tulpe. Da wo ihre Mutter zugebissen hatte, sah man den Abdruck von

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