Stirb mit mir: Roman (German Edition)
lachen sehen. Nur hier finden die Pfleger, Schwestern und Sozialarbeiter ständig einen Grund zur Heiterkeit, selbst die Hilfskräfte, die nichts anderes tun, als Essensreste vom Boden aufzuwischen oder die Scheiße von den Wänden abzuwaschen. Es wirkt beinah hysterisch. Aber womöglich ist das nur ihre Art, mit ihrer eigenen Gefangenschaft und der Institutionalisierung hier fertig zu werden.
Inzwischen bin ich seit zwei Nächten im St. Theresa.
Ich zähle in Nächten, weil das die schlimmsten Zeiten sind und es keine Ablenkung durch Ärzte, Aktivitäten und Mahlzeiten gibt. Gestern Nachmittag ist es mir gelungen, ein bisschen zu schlafen, doch nachts tue ich kein Auge zu. Dann bin ich allein, und das macht mich wütend. Es gibt mir das Gefühl, hässlich zu sein.
Bücher habe ich auch keine. Mein T -Shirt hat Flecken bekommen und ist schmuddelig geworden. Ich wünschte, es wäre schon Nachmittag, denn dann bringt Cate Austin mir frische Kleidung und die Kosmetikprodukte, um die ich sie gebeten habe. Leider habe ich vergessen, sie auch um ein Buch zu bitten. Wenn ich jetzt eins hätte, ganz gleich welches, könnte ich mich im Geist von hier entfernen und würde Frieden finden.
Wieder quälen mich Kopfschmerzen, und mir ist dermaßen schwindlig, dass ich mich hinlegen muss. Mit Sicherheit liegt es an dieser Umgebung, die so sehr auf mir lastet, dass sie meinen Schädel bald zum Platzen bringt. Wenn das so bleibt, bin ich gezwungen, die Schwestern nach einem stärkeren Schmerzmittel zu fragen, dabei war es schon schwierig genug, ihnen zwei Nurofen abzuschwatzen. Eigentlich möchte ich hier niemanden um etwas bitten. Ich möchte mich nicht verpflichtet fühlen, schließlich bin ich gegen meinen Willen hier.
Gut, ich werde in Ms Austins Schuld stehen. Aber wen außer ihr hätte ich denn losschicken können, um zu mir nach Hause zu fahren und das zu holen, was ich brauche. Meine Eltern kommen dafür nicht in Frage. Die Vorstellung, dass ihre Alice in der Irrenanstalt ist, würde sie restlos überfordern. Natürlich gibt es immer noch Lee, die sich wundern wird, warum ich mit einem Mal nicht mehr da bin. Wir wollten uns heute bei mir treffen. Wie ich Lee kenne, wird sie pünktlich sein und warten. Ich hätte sie anrufen können, denn ich habe sowohl ihre Handynummer als auch die Nummer der Kaserne in Colchester, doch davor hatte ich Angst. Ich möchte Lee nicht sagen, dass ich hier bin. Ebenso wenig will ich wissen, ob sie in der Zeitung etwas über meinen Prozess gelesen hat. Mich interessiert nur eins: Ich möchte hören, dass ich geliebt werde, und das sagt Lee mir immerzu. Ich weiß, dass es die Wahrheit ist. Selbst wenn mir diese Liebe nur in größeren Abständen zuteilwird, möchte ich sie nicht zerstören. Sie könnte bald alles sein, was ich noch habe.
Deshalb habe ich mich für Cate entschieden. Sie wird nicht bei mir herumschnüffeln, sondern nur das tun, worum ich sie gebeten habe.
Offenbar vertraue ich ihr, was eigentlich erstaunlich ist.
Nach einmaligem Klopfen kommt Shane in mein Zimmer. »Kommen Sie«, sagt er und beäugt meinen Oberkörper und meine nackten Arme.
Ich wünschte, ich hätte einen Pullover.
Stumm folge ich ihm über den Flur. Wir passieren andere Patienten, Männer und Frauen, die wie Tiger auf und ab laufen oder einander umkreisen. Der Flur ist nun mal ihr Territorium. Sie schauen zu Boden und achten darauf, einander nicht zu berühren. Eine der Frauen trinkt beim Gehen Saft aus einem Karton. Sie trägt rote Pantoffeln mit Absatz, doch sie schlurft, sodass bei jedem ihrer Schritte ein schabendes Geräusch entsteht. Als ich auf ihrer Höhe bin, bleibt sie stehen und mustert mich mit schiefgelegtem Kopf, als sei ich ein Tier im Zoo und sie stände auf der anderen Seite des Gitters. Ihre Zähne haben sich violett verfärbt.
Shane führt mich in den nächsten Flur, zu einer Tür auf der Beschäftigungstherapie steht. Er schiebt mich in den Raum. Mein Herz verkrampft sich. Mein Blick fällt auf einen Mann mittleren Alters. Er trägt ein elegantes Hemd und sitzt auf einem Stuhl mit hoher Lehne. Um ihn herum bilden fünf Patienten einen Kreis.
Einer von ihnen trägt einen Schlafanzug. Die Hose sitzt so tief, dass ich ein Stück seiner nackten Gesäßhälften erkennen kann. Außer mir ist nur noch eine Frau da. Sie trägt einen langen, weiten Rock und lächelt nervös. Wahrscheinlich gehört sie zu diesen neurotischen Weibern aus der Mittelschicht, die zwanghaft stehlen.
Der Mann
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