Stirb mit mir: Roman (German Edition)
nur, als habe er einen Witz gemacht. Dann drehte er sich eine Zigarette.
Als Mummy wiederkam, packte sie Alices Hand. »Sag Mister Wilding schön Danke, weil er auf dich aufgepasst hat, Alice.«
»Sie war artig«, sagte er. »Wie ist es gelaufen?«
»In achtundzwanzig Tagen muss ich meine Schulden zurückzahlen, plus fünfzig Pfund Gerichtskosten.«
Mr Wilding wirkte nachdenklich, und seine rote Zungenspitze fuhr über seine Unterlippe. »Haben Sie das Geld denn?«
»Logisch«, sagte Mummy. »Ich bin steinreich. Sieht man das nicht?«
»Ich könnte Ihnen helfen, Matty. Das heißt, wenn Sie es möchten.«
Mummy umklammerte die Hand ihrer Tochter so fest, dass Alice aufschrie. Dabei schüttelte sie den Kopf und wirkte sorgenvoll.
Mr Wilding sagte: »Denken Sie darüber nach, Matty. Dem Kind zuliebe.«
Alice war froh, als sie wieder in ihrem Zimmer waren und die Tür schlossen. Die Tür von Mr Wildings Zimmer hörte man nicht zugehen. Also stand er immer noch im Türrahmen.
Am selben Abend brachte er ihnen Fisch und Chips und für Alice ein Hotdog. Als sie zu Bett ging, kam er wieder, diesmal mit einer Flasche Wein. Mummy hatte noch nicht einmal einen Korkenzieher, aber daran hatte er gedacht. Alice lag im Bett und sah zu, wie die beiden tranken. Mr Wilding berührte den Arm ihrer Mutter und rieb beim Sprechen ein Bein an ihrem Bein. Je mehr Mummy trank, desto weniger schien es ihr auszumachen.
Sechzehn
»Ich habe Ihre Sachen«, sagt Cate, reicht mir die Tasche und stutzt bei meinem Anblick.
In meiner verknitterten, alten Kleidung sehe ich nun mal anders aus als bei unseren bisherigen Treffen. Noch vor drei Tagen war alles an mir makellos, doch die Alice vor ihr ist nicht die Alice in Lavenham. Ich passe nicht mehr zu meinem Haus, bin nicht mehr die Akademikerin. Jetzt bin ich die Verrückte. Cate mustert mich und sucht nach Hinweisen auf meinen Zusammenbruch.
Ich packe die Tasche, zurre den Reißverschluss auf und ziehe die indigoblaue Jeans und den himmelblauen Kaschmirpullover heraus. Dann wühle ich in den Büstenhaltern und Slips.
»Sie haben sogar an die Unterwäsche gedacht, dem Himmel sei Dank.« Ich verschwinde hinter der Trennwand.
Als ich wieder hervortrete, wirkt Cate erleichtert, und ich entnehme ihrer Miene, dass ich nun nicht mehr die Irre bin. Schicke Kleidung deutet auf eine Frau hin, die ihr Leben im Griff hat. Die Form bestimmt den Inhalt. Sie sieht zu, wie ich mir die Haare kämme, sie zusammendrehe und im Nacken zu einem lockeren Knoten feststecke. Schon bin ich wieder kultiviert, passe nicht zu dieser Institution, habe nichts Verrücktes mehr an mir. Obwohl sich diese Frau sicherlich nicht so leicht umstimmen lässt, schließlich war sie in meinem Haus. Die Glasscherben auf dem Fußboden muss sie gesehen haben.
»Haben Sie versucht, sich selbst zu verletzen, Alice?« Ihr Blick gleitet über meine Arme zu dem schmalen Streifen nackter Haut an meinem Handgelenk. Auch die roten Kratzer werden ihr sicher nicht entgehen. »Sind Sie selbstmordgefährdet?«
Ich setze mich aufs Bett, greife in die Kosmetiktasche, hole den Konturenstift hervor und ziehe mir die Lippen nach. Trotz ihrer kühnen Frage verschmiere ich die Konturen meines Mundes nicht. Ich male den Bogen meiner Oberlippe nach.
»Nein, ich bin nicht selbstmordgefährdet. Am Dienstag hatte ich einen schlechten Tag, weiter nichts. Ich sollte gar nicht hier sein. Das Ganze ist ein grässlicher Irrtum.«
Ich krame in der Kosmetiktasche, nehme den Lidschatten heraus und trage im Spiegel des Dosendeckels mit dem Ringfinger eine Schicht elfenbeinfarbenen Puder auf.
Sie lässt mich nicht aus den Augen. »Trotzdem hat Doktor Gregg Sie einweisen lassen. Er sagt, dass Sie sich eine Glasscherbe an die Kehle gehalten haben.«
Stur blicke ich in den Spiegel. Das Blut schießt mir in die Wangen. Es sieht aus wie Rouge. »Es hat wahrscheinlich schlimmer ausgesehen, als es war.« Ich hebe den Kopf. »Sie können doch wohl erkennen, dass ich nicht hierher gehöre. Deshalb möchte ich jetzt auch sofort nach Hause.«
»Dann reden Sie mit mir«, sagt sie. »Erzählen Sie mir, warum Sie bereit waren, David Jenkins Sterbehilfe zu leisten. Warum haben Sie auf seine Annonce geantwortet? An dem Tag, als ich bei Ihnen an der Uni war, haben Sie gesagt, die Zeit sei die Feindin der Liebe, nicht des Todes. Ich möchte das verstehen. Dann kann ich Ihnen vielleicht auch helfen. Sie haben erklärt, Ihre Sterbehilfe sei ein Akt der Liebe
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