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Stirb mit mir: Roman (German Edition)

Stirb mit mir: Roman (German Edition)

Titel: Stirb mit mir: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Dugdall
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mit dem eleganten Hemd steht auf, kommt auf mich zu und legt mir eine Hand auf die Schulter. »Willkommen. Ich bin Frank, und du musst Alice sein.« Ich schüttele seine Hand ab. »Komm, Alice, setz dich neben mich.«
    Als ich mich niederlasse, lächelt er mich an, und ich rieche kalten Zigarettenrauch. Der Mann im Schlafanzug sitzt mir gegenüber und starrt mich an. Seine Hand steckt in der ausgebeulten Baumwollhose und umschließt seinen Penis.
    Frank neigt sich zu mir. »Beachte ihn einfach nicht, das ist das Beste. Er ist harmlos und bleibt auch nicht lange. In zehn Minuten holt ihn ein Pfleger ab, um zu verhindern, dass er auf den Boden kackt.« Ich zucke zurück. Frank rückt näher. »Ich pass schon auf dich auf, Alice. Ich wache immer über die Neuen.«
    Die Kleptomanin klatscht mit schlaffen Händen. »Also dann«, sagt sie mit vorgetäuschter Munterkeit, »sollen wir anfangen?«
    Ich schaue von Frank zu ihr und wieder zurück. Haben die Verrückten hier etwa das Kommando übernommen? Dann fällt mir auf, dass Frank Pantoffeln trägt und die Frau ein Namensschild. Demnach ist sie die Beschäftigungstherapeutin.
    »Zum Warmwerden beginnen wir mit Wer ist der Mörder ? Alice, haben Sie das schon mal gespielt?«
    Soll das ein Witz sein? »Ja, mit sechs Jahren.«
    »Haha«, erwidert sie nachsichtig. »Wir benutzen es als Teamübung. Außerdem macht es Spaß.« Bei dem Wort »Spaß« hüpft sie auf ihrem Stuhl, wahrscheinlich um sich selbst davon zu überzeugen. Der Schlafanzugmann wiegt sich hin und her, seine Hand zuckt dabei heftig auf und ab.
    »Also, Frank, Sie sind der Detektiv. Kommen Sie, stellen Sie sich hinter den Kreis.« Er gehorcht wie ein dressierter Affe und nickt mir zu, wie um zu sagen, es sei besser, dieser Irren nachzugeben.
    »So, und jetzt schließen alle die Augen. Wenn ich jemandem auf die Schulter tippe, ist er der Mörder. Seine Aufgabe ist es, einen nach dem anderen durch ein Augenzwinkern umzubringen, ohne dass Frank es merkt. Haha.«
    Ich behalte den Schlafanzugmann im Auge. Die Therapeutin tippt einem anderen auf die Schulter. Es ist ein Mann mit Schnurrbart und Brille. Der Schnurrbart wirkt militärisch und altmodisch, wie aus einem Film der Fünfzigerjahre. Es bedrückt mich, zu sehen, wie er sein Hemd an der Stelle glättet, die sie berührt hat. Seine Kleidung ist makellos, doch dann fällt mein Blick auf seine Hände, die wie rotes, rohes Fleisch glänzen. Er berührt weder seinen Stuhl noch sich selbst. Stattdessen hält er die Hände über dem Schoß unbeholfen in der Luft. Er zwinkert mir zu. Ich werfe Frank einen Blick zu. Er beobachtet mich ebenso wie der Mann im Schlafanzug. Dann lasse ich mich vom Stuhl sinken und hauche mein Leben aus.
    »Großartig«, sagt die Therapeutin. »Wie wundervoll Sie gestorben sind, Alice. Ich glaube, Sie werden uns noch sehr viel Freude machen.«
    Das Spiel dauert nicht lange. Es wird auch bald klar, wer das nächste Opfer ist, denn als ein Pfleger den Schlafanzugmann abholt, mimt die Therapeutin lautstark einen Herzinfarkt. Ich setze mich wieder und frage mich, wie viel der Staat ihr wohl dafür zahlt, dass sie Verrückte mit Gesellschaftsspielen unterhält. Am liebsten aber würde ich laut schreien: Wissen Sie eigentlich, welche Ausbildung ich habe? Wie lange ich studiert habe, um Vorlesungen geben zu können? Haben Sie überhaupt schon mal von Keats gehört, Sie jämmerliche Kreatur? Wie bemitleidenswert sie ist, wenn sie hier um Anerkennung bettelt und möchte, dass wir lachen und wie fröhliche kleine Kinder in die Hände klatschen. Als Nächstes sollen wir Dreh dich nicht rum, der Plumpsack geht um spielen. Frank und ich wechseln einen Blick.
    Ich kann das nicht spielen.
    Ich kann es nicht ertragen, wenn jemand hinter mir steht. Deshalb wende ich mich nur halb ab, als Frank mit einem Taschentuch losläuft. Die Therapeutin wiederum ist viel zu vertrauensselig und dreht sich nicht um, als Frank das Taschentuch hinter ihr fallen lässt.
    Nach der Therapiestunde begleitet Frank mich zurück. Auf dem Weg sehe ich die Frau mit den roten Pantöffelchen aus einem der Zimmer kommen.
    »Sie war in meinem Zimmer«, sage ich und beschleunige meinen Schritt.
    Frank berührt mich am Arm. »Sieh darüber hinweg. Sie interessiert sich immer nur für die Neuen. Sobald der Nächste eingeliefert wird, schnüffelt sie bei dir nicht mehr herum.«
    Ich drehe mich zu ihm um. Er hat mehr Verstand als die Menschen, die hier arbeiten, und wirkt nicht im Mindesten

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