Stirb schön
Damit kam Venner zurecht, er hatte schon Schlimmeres bewältigt. Im Moment war der Freak nützlich, und wenn er nicht mehr nützlich war, würde ihn auch niemand vermissen.
»Schön, dass du so kurzfristig kommen konntest«, sagte Venner mit knappem Lächeln, doch seine Stimme blieb eisig.
»Hm, ja, richtig.«
»Wir haben ein Problem, John.«
»Ach ja?«, fragte der Wetterfrosch.
Langes Schweigen. Er drehte sich um, als er jemanden hinter sich spürte. Der Albaner war hereingekommen und stand nun mit verschränkten Armen im Türrahmen, flankiert von zwei weiteren Männern. Der Wetterfrosch wusste, dass es Russen waren, obwohl man sie einander nie vorgestellt hatte.
Sie tauchten bei jedem Treffen mit Venner auf. Schlank, ernst, mit scharfem Gesicht, exaktem Haarschnitt und eleganten schwarzen Anzügen. Vermutlich irgendwelche Geschäftspartner, deren Gegenwart ihm jedoch nicht recht behagte.
»Du hast mir gesagt, unsere Website sei vor Hackern geschützt«, sagte Mr Smith. »Würdest du Mr Brown und mir bitte erklären, wie es passieren konnte, dass gestern Abend ein Hacker bei uns eingedrungen ist?«
»Wir haben fünf Firewalls, bei uns kann niemand hacken. Nach nur zwei Minuten hatte ich eine Warnung wegen unbefugten Zugriffs und habe die Verbindung unterbrochen.«
»Wie ist er denn überhaupt auf die Website gelangt?«
»Keine Ahnung, ich arbeite noch dran. Jedenfalls bis Sie mich dabei gestört haben. Könnte eine Sicherheitslücke in der Software sein.«
»Ich habe elf Jahre lang die Netzwerküberwachung der US-Streitkräfte in Europa geleitet, John. Ich kenne den Unterschied zwischen einer Sicherheitslücke und Footprints. Und hier geht es um Footprints. Sieh mal.« Er zeigte auf einen Bildschirm.
Der Wetterfrosch trat neben ihn. Verschlüsselte Zahlenkolonnen liefen in alle Richtungen. Eine Buchstabengruppe blinkte. Er betrachtete eingehend den Bildschirm und verglich ihn mit den drei anderen.
»Hm, das könnte verschiedene Gründe haben.«
»Schon«, stimmte der Amerikaner ungeduldig zu. »Aber die habe ich eliminiert. Bleibt nur eine Erklärung – ein Unbefugter hat sich eine Abonnenten-CD-ROM verschafft. Du musst den Namen und die Anschrift des Abonnenten ermitteln, der sie verloren hat. Ebenso die Person, die sie gefunden hat.«
»Ich kann Ihnen die User-ID des Abonnenten geben – seine Login-Daten. Was die andere Person angeht, die dürfte schwieriger zu finden sein.«
»Wenn er uns finden konnte, kannst du ihn auch finden.« Mr Smith faltete die Hände und verzog die fleischigen Lippen zu einem Lächeln. »Du hast die Mittel. Nutze sie.«
8
ROY GRACE STAND BIS ZUR HÜFTE in einem schlammigen Rapsfeld. Er trug Überschuhe und einen weißen Schutzanzug aus Papier. Einen Moment lang verharrte er einfach in Wind und Nieselregen und betrachtete eine Ameise, die zielstrebig über die Frauenhand krabbelte, die mit der Handfläche nach unten zwischen den leuchtend gelben Blüten lag.
Dann kniete er sich hin, schnupperte an dem Fleisch und verscheuchte eine Schmeißfliege. Die Hand roch völlig neutral, folglich konnte sie nicht länger als vierundzwanzig Stunden in der sommerlichen Wärme gelegen haben.
Vor Jahren hatte er als Anfänger einen Tatort besucht; eine junge Frau war auf einem Friedhof mitten in Brighton vergewaltigt und erdrosselt worden. Damals hatte ihn eine attraktive rothaarige Journalistin vom Argus angesprochen und gefragt, ob er etwas empfinde, wenn er einen Mord untersuche, oder ob es einfach Routinearbeit für ihn sei.
Obwohl er damals glücklich mit Sandy verheiratet gewesen war, hatte er den kleinen Flirt genossen und wollte nicht eingestehen, dass dies seine erste Mordermittlung war. Also gab er sich machohaft und sagte, natürlich betrachte er es nur als Job, so könne er die entsetzlichen Bilder verarbeiten.
Jetzt fiel ihm diese Begegnung wieder ein.
Die tollkühne Lüge.
Denn in Wahrheit würde er an dem Tag, an dem er eine Mordermittlung einfach nur als Job betrachtete und kein tiefes Mitgefühl mit dem Opfer mehr empfand, den Dienst quittieren und sich etwas anderes suchen. Und dieser Tag lag noch in weiter Ferne. Vielleicht würde es ihm irgendwann so gehen, wie es seinem Vater und vielen Veteranen bei der Polizei gegangen war, doch im Augenblick spürte er noch die brodelnden Gefühle, die ihn stets aufs Neue überkamen, wenn er den Schauplatz eines Mordes betrat.
Es war eine zwingende Mischung aus Angst vor dem, was ihn erwartete, und dem Bewusstsein der
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