Stirb schön
drittes Glas.«
»Hast du etwa mitgezählt?«
»In der Schule haben sie uns erklärt, dass es nicht gut ist, wenn einer zu viel Wein trinkt.«
Nun war Tom richtig entsetzt. Schickte der Staat die Kinder jetzt schon los, um die Trinkgewohnheiten ihrer Eltern auszuspionieren? »Wer hat das gesagt, Max?«
»Eine Frau.«
»Eine Lehrerin?«
Er schüttelte den Kopf. »Eine Ökotologin.«
Tom roch den köstlichen Grillduft, der von den Nachbarn herüberwehte. Ihm selbst war es noch nicht gelungen, auch nur das Gas einzuschalten. »Eine Okotologin ?«
»Sie hat erzählt, welches Essen gut ist.«
»Ach so, du meinst eine Ökotrophologin?«
Max dachte nach und nickte dann. »Können wir noch eben Lastwagenrennen spielen? Nur ein ganz kleines bisschen?«
Schließlich hatte Tom den Knopf zum Ein- und Ausschalten gefunden. Laut Bedienungsanleitung sollte man den Grill einschalten und zwanzig Minuten abwarten. Kellie und Jessica waren völlig ins Tanzen vertieft, also gab er nach.
»Aber nur ein Spiel.«
»Versprich mir, dass du nicht gewinnst.«
»Das wäre aber nicht fair, oder?«, meinte Tom und folgte ihm nach drinnen. »Außerdem verliere ich auch so immer gegen dich.«
Max musste kichern und rannte vor seinem Vater die Treppe hinauf.
Tom warf in der Küche einen Blick auf den Fernseher und füllte sein Weinglas nach. Falls Kellie nicht an der Flasche gewesen war, hatte Max sich geirrt; es war nicht Toms drittes, sondern sein viertes Glas gewesen. Die Flasche war leer. Am Montag würde er den Rektor anrufen und fragen, was zum Teufel er sich dabei dachte, wenn er Kinder ermutigte, die Trinkgewohnheiten ihrer Eltern zu kontrollieren.
»Du kannst jede Farbe außer Grün haben, Daddy«, rief Max aus seinem Zimmer. »Das nehme ich nämlich, okay?«
»Alles klar!«
Das erste Rennen gewann Max ohne Mühe, denn Tom konnte sich einfach nicht auf Fernsteuerung und Rennstrecke konzentrieren. Er baute in der ersten Kurve des zweiten Rennens einen Unfall und kam bei nächster Gelegenheit erneut von der Fahrbahn ab, sodass Reifen und Strohballen nur so flogen. Zuletzt überschlug er sich und landete auf der Tribüne.
Seit er das Foto von Janie Stretton im Evening Standard und dann in den Sechs-Uhr-Nachrichten gesehen hatte, war er wie betäubt umhergelaufen.
Er konnte nicht länger ignorieren, was geschehen war. Andererseits fürchtete er die Drohung der E-Mail, die seinen Computer lahm gelegt hatte. Diese Leute meinten es ernst.
Besaß er denn überhaupt nützliche Informationen, die der Polizei helfen würden? Er hatte nur einige wenige Minuten eines Films gesehen, in dem die junge Frau von einer Gestalt mit Kapuze erstochen wurde.
Durfte er seine Familie derart in Gefahr bringen?
Er zermarterte sich das Hirn. Und kam doch jedes Mal zu dem Schluss, dass seine Beobachtungen der Polizei durchaus helfen würden. Warum sonst hatte man ihn bedroht?
Er musste unbedingt mit Kellie darüber sprechen. Aber würde sie auch glauben, dass er die CD-ROM völlig arglos in seinen Computer eingelegt hatte?
Wenn sie nun dagegen war, dass er zur Polizei ging? Würde er dann trotzdem auf sein Gewissen hören?
Helden waren für ihn immer jene Menschen gewesen, die offen für ihre Überzeugungen eintraten.
Er betrachtete Max, der mit wachen Augen auf den Bildschirm blickte und dessen geschickte Finger über die Fernsteuerung huschten, während sein Laster über die Rennbahn sauste. Die Musik von draußen wurde leiser, er hörte Jessica fröhlich lachen.
Es ging doch auch um sie.
Hatte er denn das Recht, ihr Leben in Gefahr zu bringen, nur weil er seinen Prinzipien treu bleiben wollte? Was hätte sein Vater in dieser Lage getan?
In solchen Augenblicken fehlte er ihm. Hätte er ihn doch nur um Rat fragen können.
Sein Vater war ein anständiger Mann gewesen, der als Vertreter für eine deutsche Firma gearbeitet hatte, die Reinigungsbürsten für die Industrie herstellte. Ein großer, sanfter Mann, der als Küster in der anglikanischen Kirche diente. Er ging jeden Sonntag seines Lebens zur Messe, und als Dank trennte ihm im Alter von vierundvierzig Jahren die Heckklappe eines Milchlasters auf der M1 den Kopf ab.
Sein Vater hätte ihn aus christlicher Sicht beraten können, aus der Sicht eines verantwortungsbewussten Bürgers, der der Polizei gewiss melden würde, was er gesehen hatte. Doch Tom hatte den Glauben seines Vaters nie teilen können.
Er beschloss, Kellie zu fragen. Sie war klug. An ihr Wort würde er sich
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