Stoer die feinen Leute nicht
Morgen bei mir an und sagt mir, ob ein Brief von Carsten dabei ist. Ich bin ja doch schon auf…“
„Wer ist denn Carsten?“
Etwas ärgerlich, daß Katja das nicht wußte: „Na, mein Sohn! Ich hab Ihnen doch erzählt, daß er schwerverletzt… In Perth, in Australien…“
„O ja. Pardon – natürlich!“ Katja war’s peinlich. Sie konnte sich gar nicht richtig darüber freuen, daß Frau Meyerdierks die ferne Stadt phonetisch verbrammte und wie den männlichen Vornamen Gert aussprach.
„Ein Brief von Carsten war nicht dabei, aber einer für Sie!“
„Für mich?“
„Ja. Nur einer mit meiner Anschrift – für Sie!“
Katja setzte ihre Kaffeetasse ab, überlegte, starrte Frau Meyerdierks an. Komisch… Wer um alles in der Welt sollte ihr schreiben? Es kannte doch niemand ihre Adresse.
Sofort war sie wieder da, diese ungewisse Angst. Seit sie auf dem Weg nach Bramme war. Wie bei einem Kind nachts in einem fremden Haus, wie bei einem Westernhelden in einer Schlucht im Feindesland, wie bei einem Weltraumfahrer nach der Landung auf einem fremden Planeten.
Was sollte das?
Nur Biebusch kannte ihre Adresse in Bramme. Aber Biebusch hätte ihr doch nie und nimmer einen Brief…Das war absurd!
Sie aß kaum etwas, der Appetit war weg. Sie wünschte sich nach Berlin zurück, wo sie den Dschungel kannte, seine Laute zu deuten wußte, wo sie zu Hause war.
Der Herr Abteilungsleiter trat an ihren Tisch. „Mein Kompliment – Sie sprechen ja wirklich ein ausgezeichnetes Spanisch… Sie kennen doch das Wespennest?“
Katja zerknüllte ihre Serviette und nickte.
„Da tritt heute abend in der Bar eine spanische Tänzerin auf – wenn ich Sie…“
Katja stand auf, strich sich mit der Hand die Krümel vom Rock und lachte: „Hab ich mir doch gedacht, daß Sie die Elektroabteilung leiten.“
„Elektro… Wieso?“
„Weil Sie so kontaktfreudig sind!“
Sie ließ den Herrn Abteilungsleiter stehen, kraulte Alfons Mümmel kurz das Fell und ging in ihr Zimmer zurück. Ein Blick auf die Uhr: Viertel zehn. In Bramme sagten sie: Viertel nach neun. Zeit genug, ein paar Sachen fürs Abendessen einzukaufen. Sie konnte nicht jeden abend Curry-Wurst essen, und Restaurants waren ihr auf die Dauer zu teuer. Mal ja, aber nicht immer. Der gebrauchte Karmann Ghia hatte einiges gekostet, und eine runde Million hatte ihr die Großmutter auch nicht vererbt.
Katja griff sich ihr Einkaufsnetz, schloß ihre Tür ab und trat auf die Knochenhauergasse hinaus. Gleich hinter dem Luperti-Stift war ein Laden.
Erich Taschenmachers Supermarkt war von den Verkaufspsychologen seiner Genossenschaft nach bewährten Prinzipien eingerichtet worden: an den Wänden die besonders umsatzträchtigen Waren wie Frischfleisch, Obst und Gemüse, Tiefkühlkost und Milch; die Rennstrecken von attraktiven Sonderangeboten unterbrochen; Spielzeug, Oberhemden, Dauerwurst und anderes ungeordnet in großen Schalen getürmt; handgeschriebene Texte bei Waren, die man gern losgeworden wäre.
Katja griff sich einen Einkaufswagen, obwohl sich das für die paar Dinge, die sie kaufen wollte, gar nicht lohnte. Aber Drahtkörbe gab’s hier nicht. Sie sah auf den Zettel, den sie gestern abend geschrieben hatte: 2 Fl Apfelsaft, 1 / 2 Pf Butter, 1 Büchse Ölsard. 1 Schachtel Pralinen, 1 Packung Leinsamenbrot, 1 Fl. Cointreau, 100 g Wurst, 1 Dose Würstchen, Kräuterkäse, Apfelsinen. Für ihr schlechtes Gedächtnis schon eine ganze Menge.
Im Supermarkt tat sich zu dieser frühen Stunde noch nicht allzuviel. Ein paar Hausfrauen mit Kindern an der Hand, das eine oder andere Muttchen aus dem Luperti-Stift, mal ein Handwerker, der Bier und Brötchen holte.
Katja stellte ihre fransengeschmückte Umhängetasche in den Wagen und schob ihn langsam die vorgesehenen Pfade entlang. Sie war müde, fühlte sich schläfrig. Sie fürchtete sich vor dem anstrengenden Arbeitstag mit Biebusch und den anderen beiden Koryphäen. Ihre Gedanken kreisten noch immer um den Brief, den sie nicht erhalten hatte. Vielleicht konnte sich Biebusch einen Reim darauf machen.
„Na, Fräulein, wie wär’s denn mit einer kleinen Kostprobe?“
Katja zuckte zusammen. Sie verjagte sich, wie Frau Meyerdierks es ausdrückte. Eine Werbedame im Marlene-Dietrich-Alter, aber auf jung und morgenschön geschminkt, bot ihr lieblich lächelnd ein Glas Weißwein an, irgendein Phantasiename, den sie noch nie gehört hatte. Aus deutschen Laboratorien frisch auf den Tisch. Katja ließ ihren Wagen vor dem Regal mit
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