Stoer die feinen Leute nicht
reichte Taschenmacher den Hörer.
„Taschenmacher… Oh! Herr Bürgermeister…“
Katja hörte nur noch ein auf und ab schwellendes Gebrabbel, verstand aber nicht, was Lankenau sagte. Taschenmacher hatte erst noch süffisant gelächelt, allmählich aber zeigte er einen ärgerlichen Gesichtsausdruck.
„Ist gut!“ rief er schließlich und knallte den Hörer auf die Gabel. „Bezahlen Sie das Krebsfleisch und verschwinden Sie!“
Katja kam erst wieder zu sich, als sie draußen auf der Knochenhauergasse stand. Gerettet!
Sie ging zur Pension hinüber und brachte ihre Sachen im Kühlschrank von Frau Meyerdierks unter.
Ein Blick auf die Uhr: Sie würde eine halbe Stunde zu spät kommen. Sie raffte ihre Unterlagen zusammen und stürzte an Frau Meyerdierks vorbei, die gerade dabei war, die von Alfons Mümmel angeknabberte Telefonschnur mit Isolierband zu umwickeln. Katja nahm sich nicht mal die Zeit, den Zwerghasen zu streicheln.
Mit kaum gedämpfter Erregung lief sie die Knochenhauergasse hinunter und überquerte den Marktplatz. Für die sonnenbeschienene Renaissancefassade des Rathauses hatte sie keinen Blick. Sie eilte ausgetretene Stufen hinauf. Eine schwarz gestrichene schmiedeeiserne Tür. Sie hatte Mühe, sie aufzuziehen.
In der Vorhalle verharrte sie einen Augenblick. Wo ging’s zur Treppe? Sie war zwar gestern mit Biebusch hier gewesen, hatte aber, von ihm geführt, wenig auf die Baulichkeiten geachtet. Es war kühl und muffig hier, wie in einer Gruft. Sie hatte draußen geschwitzt; jetzt fror sie. Vor ihr an der Wand das Wappen der Stadt; blau, grün und silbrig; Moor, Fluß und Fisch. Ein Stadtplan aus verschiedenfarbigen Hölzern. Ein halbes Dutzend Büsten bedeutender Bürgermeister. Ein schwarzes Brett mit angepinnten Blättern. Eine große Hinweistafel mit einer Fülle von Dienststellen; kleine weiße Buchstaben auf schwarzem Samt.
Sie fand den Aufgang und hastete nach oben. Im ersten Stockwerk auf dem Flur ein großflächiges Modell der Stadt Bramme, an den Wänden bunte Pläne des Stadtplanungsamtes, im zweiten Stockwerk Radierungen, Graphiken, Linolschnitte und Aquarelle, eine kleine Harm-Clüver-Ausstellung. Eine Art Stiege führte ins nur teilweise ausgebaute Dachgeschoß hinauf. Raummangel hier wie überall – Parkinson oder Notwendigkeit?
Ein wenig atemlos fand Katja schließlich das Zimmer 305, an dessen perlgrauer Tür ein kleines Schildchen prangte:
Stadtsoziologische Forschungsgruppe
Prof. Dr. B. Biebusch
Sie lauschte. Nichts. Nanu?! Normalerweise diskutierten Kuschka und Frau Haas mit einer nervtötenden Lautstärke. Auch von Biebuschs Baß war nichts zu vernehmen. Sollten sie doch woanders sitzen? Sie klopfte vorsichtshalber.
„Herein!“
Also doch. Sie öffnete die Tür. In dem kleinen Mansardenraum mit den schrägen Wänden standen vier Schreibtische, zwei Regale und ein Schrank. Alles war so vollgestopft, daß man sich kaum bewegen konnte.
Die Begrüßung war kühl und sachlich, ein paar Worte, kein Handschlag, fast kam sie sich als Störenfried vor.
„Hier geht’s ja zu wie auf einer Beerdigung“, sagte sie.
Biebusch deutete auf die aufgeschlagene Zeitung, die vor ihm lag, hielt ihr eine der inneren Seiten hin. „Hier, lesen Sie mal. Ein Leserbrief…“
Katja stützte sich auf den Schreibtisch und überflog den Text.
AUS DEM FENSTER GEWORFEN!
Zum Bericht Bramme wird durchleuchtet (Brammer Tageblatt vom 6. 6. 1972):
Unsere Haushaltskassen sind leer, aber unser Stadtrat wirft 50000 DM aus dem Fenster, um eine soziologische Untersuchung unserer Stadt zu starten. Wenn deren Ergebnis vorliegt, werden wir auch nicht schlauer sein als vorher. Darum sollten alle Bürger unserer Stadt energisch dagegen protestieren, daß ihre Steuergelder derart sinnlos ausgegeben werden. Die Kosten dieser Untersuchung hätten wohl sicherlich ausgereicht, die Schule an der Brammermoorer Heerstraße und Teile des Luperti-Stiftes zu renovieren. Vielleicht wäre auch noch Geld für einige Kindergartenplätze und für die Ausstattung unserer Grundschulen mit besserem Lehrmaterial übriggeblieben. Die Steuerzahler in Bramme sollten sich endlich entschließen, der Führung ihrer Stadt mehr auf die Finger zu sehen. Alle Entscheidungen des Stadtrats, die unseren Steuersäckel belasten, sollten sorgfältig geprüft werden, sonst sind wir eines Tages verraten und verkauft. Wir brauchen Schulen, Kindergärten, Krankenhäuser und verkehrsgerechte Straßen, aber keine weiteren
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