Stoer die feinen Leute nicht
Untersuchungen in denen nichts weiter steht, als daß sie uns fehlen!
Karla Kück, Bramme
„Da steckt ein kluger Kopf dahinter“, lächelte Katja.
„Ich finde das gar nicht so komisch!“ polterte Biebusch los. „Erst will man Ihnen einen Ladendiebstahl anhängen und Sie unmöglich machen, dann hetzt man die ganze Stadt gegen uns auf. Da steckt doch die feste Absicht dahinter, unsere Studie unmöglich zu machen. Das ist ja ein wahres Kesseltreiben, das man da gegen uns eröffnet.“
„Scheint mir eher eine ganz normale Reaktion zu sein“, sagte Frau Haas. „Damit war doch zu rechnen.“
Katja setzte sich an den freien Schreibtisch. „Haben Sie schon was unternommen?“
„Ich habe mit Dr. Trey gesprochen; er hat…“ Biebusch zündete sich ein Zigarillo an und hustete erst einmal kräftig. „… nicht gewußt, daß der Leserbrief veröffentlicht worden ist. Er will gleich einen Reporter vorbeischicken, um noch morgen eine sachliche Gegendarstellung zu bringen. Der erste Artikel im Brammer Tageblatt war ja wirklich zu kurz und nicht präzise genug.“
Kuschka packte sein Wurstbrötchen aus und begann zu frühstücken, Frau Haas vertiefte sich in den Wirtschaftsteil der Zeitung, und Biebusch, der verbissen den städtischen Haushaltsplan studierte, wagte es offenbar nicht, die beiden bei ihrer jeweiligen Beschäftigung zu stören. Katja legte sich einen DIN-A 4-Block bereit, um anzudeuten, daß sie nun auf den Beginn ihrer gemeinsamen Arbeit wartete, auf das erste brainstorming in Bramme.
Doch es herrschte wohl ein stillschweigender Konsens darüber, erst einmal die Ankunft des Reporters abzuwarten. Katja musterte die beiden dienstältesten Assistenten des Fachbereichs.
Kuschka, Arnulf A. Kuschka, war eine fleischgewordene Buddha-Figur, ein magenkranker Faun. Magenkrank deswegen, weil er nichts anderes sein wollte als ein versoffenes Genie. Er war zweifellos der Intelligenteste von allen, konnte abendfüllende Vorträge über soziologische Probleme halten, von denen der Professor Biebusch nicht einmal wußte, daß es sie gab, sah auch da noch Zusammenhänge, wo andere am Chaos verzweifelten, und konnte sich zugute halten, der geistige Vater von Biebuschs letzten fünf Büchern und Aufsätzen zu sein. Er selber hatte keinerlei wissenschaftlichen Ehrgeiz, an sich überhaupt keinen Ehrgeiz, wenn man davon absah, daß er der trinkfesteste Soziologe Deutschlands sein wollte. Er war so faul, daß er Biebusch ständig nach dem Mund redete und ihm geradezu die Füße küßte, nur in der Absicht, dadurch von Aufträgen verschont zu bleiben. Den Assistentenjob verlieren wollte er auf gar keinen Fall. Bier kostete Geld, Whisky noch mehr.
Frau Haas, Annerose Haas geborene Arndt, war Soziologin aus Leidenschaft und von einem missionarischen Eifer erfüllt, der anderen des öfteren auf die Nerven ging. Sie hatte, im Gegensatz zu den meisten Linken, den Mut, ihre Überzeugungen nicht ausschließlich vor Gleichgesinnten auszubreiten, sondern sie suchte tatsächlich den Dialog mit Andersdenkenden. Aufhebung der Entfremdung des Menschen, Schluß mit seiner Verdinglichung in technokratischen Systemen, Hilfe für die Unterprivilegierten, Schaffung einer humanen Welt, in der sich jeder frei entfalten konnte – das waren ihre Ideale. Ideale, die sie nicht hinderten, in teueren Pelzmänteln herumzulaufen, an der Börse zu spekulieren, skandinavische Möbel zu kaufen, eine Fünf-Zimmer-Wohnung nach der andern zu mieten und mit etlichen Führungskräften großer Konzerne eng befreundet zu sein. Sie demonstrierte eben im Salon und nicht auf der Straße. Knabenhaft schlank, wie sie war, wäre sie auch vom ersten Wasserwerferstrahl hinweggespült worden.
Katja freute sich aber irgendwie, mit ihnen beiden zusammenzuarbeiten, sie waren interessant in ihrer Widersprüchlichkeit, interessant aber auch wegen ihrer dauernden Gefechte.
Jemand klopfte an die Tür, hämmerte fast dagegen. Sie schreckten hoch.
„Das Rollkommando!“ lachte Kuschka.
In der Tür stand ein junger Mann, deutscher Einheitstyp des neuen Linken: moosfarbene Jeans, poppiges Sporthemd, schulterlange Haare, Schnauzbart und Nickelbrille. Voll beschäftigt mit dem langen Marsch durch die Institutionen, im Gepäck die Gedanken der Herren Adorno, Habermas und Marcuse.
„Corzelius“, sagte der junge Mann. „Vom Brammer Tageblatt.“
Die vier Soziologen starrten ihn ungläubig an. Das war doch schlecht möglich – ein Law-and-Order-Blatt wie das von
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