Stoer die feinen Leute nicht
Bramme beschäftigte einen solchen Reporter?
„Ich bin das linke Alibi“, lächelte Corzelius. „Schließlich steht bei uns oben drüber, daß wir eine unabhängige Tageszeitung sind.“
Biebusch bat ihn, Platz zu nehmen, und stellte sich und seine Mannschaft vor. „Sie kommen wegen des Berichts über meine stadtsoziologische Untersuchung?“
„Unsere!“ betonte Frau Haas.
„In der Tat. Ich wäre schon eher dagewesen, aber Trey hat mich erst suchen müssen.“
Katja lächelte ein wenig spöttisch. „Haben Sie gerade im Stadtpark Molotow-Cocktails gebastelt?“
„Das machen wir nur, wenn der rote Stern aufgegangen ist. Nein, aber mit Cocktails hatte es schon zu tun – mit Anregungs- und Liebescocktails, Aphrodisiaka genannt, und so…“
„Das gibt’s hier in Bramme?“ fragte Kuschka, offenbar interessiert.
„Erst seit kurzem, aber immerhin; wir werden langsam Weltstadt. So nach dem Motto: Sonntags nie, da ist die Dame in Bremen… Ja, also kurz nach Ostern, da hat hier ein gewisser Helmut Lemmermann einen Sex-Shop aufgemacht. Seitdem gibt es große Proteste, anonyme Drohbriefe und ähnliches. Zweimal hat’s schon bei Lemmermann gebrannt; gestern nacht haben sie ihm wieder mal die Schaufensterscheibe eingeschlagen und Kuhmist in den Laden geworfen.“
„Und wer steckt dahinter?“ fragte Frau Haas, immer bemüht, den Dingen auf den Grund zu gehen. „Die Opposition?“
Corzelius zuckte die Schultern. „Ja und nein. Buth und Trey paßt das natürlich in den Kram, denn das ist der beste Aufhänger für ihre Kampagne für Recht und Ordnung. Leitmotiv: Etwas Besseres als das Bestehende ist nicht zu erwarten. Das Tageblatt walzt die Entrüstung des zur Entrüstung manipulierten Bürgers gehörig aus und ruft allen aufrechten Bürgern zu: Seht, seit Lankenau Bürgermeister ist, hat der sittliche Verfall in Bramme begonnen. Wo soll das noch enden?“ Corzelius machte eine kleine, rhetorische Pause. „Das ist die eine Seite. Auf der andern ist dieser Lemmermann, dieser Sex-Shop-Onkel, ein alter Jugendfreund von ihnen, ein Spezie, wie man anderswo sagen würde, und sie haben sich gefreut, daß er nach Bramme zurückgekommen ist.“
Katja hatte zwar zugehört, aber nur flüchtig, denn Corzelius selbst interessierte sie mehr als das, was er sagte. Sympathisch; der Typ, den sie mochte. Aus der Art, wie er nervös nach einer Zigarette suchte, nachdem sie sich sekundenlang in die Augen gesehen hatten, konnte sie schließen, daß es in seinem Gefühlspegel gewisse Schwankungen gab. Corzelius – keine schlechte Möglichkeit, zweihundert Tage Bramme zu überleben.
Frau Haas bohrte weiter – Herrschaftsstrukturen waren ihr Spezialgebiet: „Buth ist also der heimliche Herrscher von Bramme?“
„So kann man’s nennen.“ Corzelius nickte. „Ihm gehört die Fabrik draußen, die Bauelemente und Fertighäuser herstellt, er hat das größte Bauunternehmen hier, Hoch- und Tiefbau, ihm gehört das Wespennest, das Tageblatt, die neue Konservenfabrik in Barkhausen unten, das Erholungsgebiet am Brammer Meer, die Lebensmittel-Kette Ge-Be-Discount – Ge-Be von Günther Buth – , das Reisebüro am Bahnhof, eine Möbelfabrik hinten an der Autobahn – und so weiter und so weiter.“
„Und warum ist dann Lankenau Bürgermeister und nicht Trey?“
„Weil Buths Favorit drei Wochen vor der letzten Wahl gestorben ist. Der neue Kandidat konnte in der kurzen Zeit gegen Lankenaus Apparat nichts mehr ausrichten. Aber jetzt hat er sich ja Dr. Trey aufgebaut – und das ist ein bombensicherer Tip. Trey ist der sauberste der deutschen Saubermänner. Redlich, ehrlich, anständig, fleißig, mit dem Doktortitel gesegnet – man muß ihn einfach verehren.“
„Es ist doch erstaunlich, daß es Buth bisher nicht gelungen ist, das Rathaus unter seine Kontrolle zu bringen…“ Katja fühlte sich verpflichtet, auch einmal erkenntnisfördernd in die Debatte einzugreifen. Nirgendwo war intellektuelle Geschwätzigkeit förderlicher als in ihren Kreisen. Und so erging sie sich noch in einigen theoretischen Überlegungen zum Problem der Kooptation, obwohl das nicht hundertprozentig zur Sache gehörte. Was Biebusch auch sogleich anmerkte.
Corzelius überlegte einen Augenblick. „Ja, warum… Vielleicht wollte er es nicht, um nicht unnötig in die Schußlinie zu geraten; vielleicht braucht er es nicht, weil ihm der Stadtrat ohnehin alles bewilligt, was er bewilligt haben will: billiges Bauland, Straßen zu seinen Betrieben,
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