Stoer die feinen Leute nicht
Fachschulen zur Ausbildung seiner Arbeiter, günstige Steuersätze, Bürgschaften, Wohnheime für die Gastarbeiter… Was gut ist für Buth ist auch gut für Bramme! Und das ging…“
Katja konnte ihre Meinung über Corzelius in einem Wort zusammenfassen: Klasse.
„… das ging jahrelang so. Aber nun ist Hänschen Lankenau Bürgermeister von Bramme und tut alles, um Buth daran zu hindern, die Stadt weiterhin für seine Zwecke auszubeuten. Lankenau sieht harmlos aus, so ‘ne richtige graue Maus, Typ Kanalarbeiter, wenig publikumswirksam – aber das ist alles Tarnung. Auch den eigenen Parteifreunden gegenüber…“
Biebusch schrieb mit. „Sehr interessant.“
„In Wirklichkeit ist Lankenau ein… Na, ich behalt’s lieber für mich. Wenn Buth ihn diesmal nicht stürzt, dann kann’s ihn Hunderttausende und die Vorherrschaft über Bramme kosten. Darum läßt er auch nichts unversucht, seinen Freund Hans-Dieter Trey als kommendes Stadtoberhaupt aufzubauen und die Entwicklung wieder in den Griff zu bekommen. Trey dürfte auch alle Chancen haben, Lankenau bei der Wahl im Oktober entscheidend zu schlagen. Er macht mehr her und er hat, seit Buth über die Mehrheit der Anteile verfügt, das Brammer Tageblatt als Propagandainstrument zur Verfügung. Langsam, aber sicher machen seine Redakteure Lankenau zum Bürgerschreck. Ihre Strategie ist klar: Wenn Lankenau weiterhin gegen Buth vorgeht, investiert der eben woanders, und die Leute in Bramme werden arbeitslos… Gut, nicht? – Außerdem läßt sich Trey ab und zu was einfallen, was ihm todsicher die Sympathie der Bürger sichert: Neulich hat er ein junges Mädchen vor dem Ertrinken gerettet.“
„Den Seinen gibt’s der Herr im Wasser!“ spottete Katja. Er redet ein bißchen viel, aber er ist richtig nett, dachte sie.
Corzelius konnte offenbar Gedanken lesen. „Aber ich rede und rede…“ Er sah auf die Uhr. „Eigentlich bin ich ja hier, damit Sie mir was erzählen. Trey hat mir den Auftrag gegeben, einen sachlichen Bericht über Ihre Untersuchung zu schreiben und die positiven Aspekte der ganzen Untersuchung herauszustellen.“ Und er fügte für Katja hinzu: „Da biste vonne Socken, wa?!“
Katja lachte. „Ich bin in Bramme geboren…“
„Nehmen Sie’s leicht. Kopernikus stammt aus Thorn und hat die Welt zurechtgerückt, Kant kommt aus Königsberg und hat die Transzendentalphilosophie erfunden – wer weiß, welches Genie Bramme dermaleinst der Welt schenken wird.“
Biebusch paßte es nicht, daß ihr Gespräch zum journalistischen Frühschoppen entartete, und er begann, leicht verärgert, Corzelius über den tieferen Sinn seiner Untersuchung aufzuklären.
„Die planmäßige Verbesserung der Gesellschaft kann nur gelingen, wenn die Soziologie die notwendigen Erkenntnisse zur Verfügung stellt. Gemeinden wie Bramme sind Urformen menschlichen Zusammenlebens. Sie stellen auf der einen Seite ein relativ geschlossenes soziales System dar, auf der anderen aber sind sie untrennbar mit dem sozialen, politischen und kulturellen Geschehen der gesamten Gesellschaft verbunden. Und gerade das macht sie zu einem einzigartigen Forschungsgegenstand für uns. Eine soziologische Gemeindestudie…“
Katja wäre am liebsten aus dem Zimmer gegangen – immer derselbe Salm! Corzelius, der sein kleines Tonbandgerät eingeschaltet hatte, guckte mehr auf ihre Knie, als daß er an Biebuschs Lippen hing. Kuschka war geistig weggetreten, vielleicht überlegte er, ob er seine halben Liter im Wespennest oder im Brammer Krug trinken sollte. Frau Haas hatte die Titelseite des Brammer Tageblatt vor sich liegen und malte die geschlossenen Buchstaben mit einem blauen Filzstift aus.
„… im Mittelpunkt steht deshalb das Problem der sozialen Schichtung“, dozierte Biebusch. „Im Zusammenhang damit untersuchen wir die Berufsstruktur, die berufliche und soziale Mobilität und nicht zuletzt die Teilnahme der verschiedenen Bevölkerungsgruppen am sozialen Leben der Stadt – also Mitgliedschaft in Parteien, Kirchen, Verbänden, Vereinen und so weiter… kommunale Selbstverwaltung… Kontakte zwischen Berufsgruppen…“ Biebusch mußte einen Augenblick innehalten, um Atem zu holen – seine Neigung zum Bronchialasthma.
Frau Haas nutzte die Zwangspause. „Und natürlich interessieren uns die Herrschaftsstrukturen: Wer gibt den Ton an? Wer läßt andere für sich arbeiten? Wer hält die Fäden in der Hand, wer manipuliert die Leute, wer stellt sich Reformen in den
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