Stoer die feinen Leute nicht
„Wieso?“
„Weil Sie gerade aus dem Rathaus kommen.“
So ging es noch eine ganze Weile, und Katja vergaß vorübergehend ihre Sorgen. Erst als sie in ihrem weinroten Karmann Ghia die Brammermoorer Heerstraße hinunterfuhren, kam Corzelius auf das zu sprechen, was sie bewegte.
„Wie hat sich denn Biebusch entschieden?“
Katja lachte; es klang bitter: „Er würde mich am liebsten fallenlassen und seine Untersuchung retten… Was bin ich denn – Hilfsarbeiterin, Zuarbeiterin. Ich habe ihm nichts zu bieten, keine Privilegien, keine Aufträge, keine Posten – Bildungsrat und so. Ich habe auch keine Freunde, Verwandte oder Bekannte, die so hoch in unseren Hierarchien angesiedelt sind, daß er Angst kriegen könnte.“
„Und Kuschka?“
„Der auch. Der verspricht sich hier in Bramme ein faules Leben und ein paar neue Saufkumpane.“
„Aber Frau Haas…“
„Die hat ihr Geld schon verplant; die kann nicht aussteigen.“
Corzelius schüttelte den Kopf. „Und ich dachte, die hätten sich alle mit Ihnen solidarisiert?“
„Haben sie ja auch.“
Nun verstand Corzelius überhaupt nichts mehr.
Katja klärte ihn auf. „Sie kennen doch die Situation in Berlin: Was meinen Sie, was passiert, wenn Biebusch mich feuert und ich die Sache im Fachbereich hochspiele? Kuschka und Frau Haas wären erledigt, und Biebusch hätte keine ruhige Minute mehr. Denen bleibt gar nichts weiter übrig, als sich mit mir zu solidarisieren.“
Corzelius pfiff durch die Zähne. „Das kann ja noch allerhand Zirkus hier geben… Und wenn Sie nun freiwillig…“
Katja fuhr ihn an. „Dann ist meine Diplomarbeit im Eimer. Dann hab ich drei Jahre lang umsonst studiert. Dann kann ich anschließend stempeln gehen – ohne Abschluß, bei dem Fach! Gar nicht zu reden von meiner Promotion…“
„Ich sag’s Ihnen ganz offen – denken Sie sich dabei, was Sie wollen. – Ich mach mir Sorgen um Sie.“
„Danke!“
Sie fuhren schweigend zum Brammer Meer hinaus. Katja wertete seine Besorgnis weniger als Liebeserklärung, sondern mehr als Versuch, sie nun auf diese sanfte Tour loszuwerden. Corzelius war es offenbar peinlich, sich verraten zu haben.
Das Brammer Meer erwies sich als trapezförmiger Baggersee, längst nicht so groß wie das Steinhuder oder das Zwischenahner Meer, höchstens Berliner Wannsee. An der einen Längsseite Strand und Kioske, an der andern die Autobahn, ansonsten niedrige Büsche und Wiesen sowie ein Campingplatz. Das Wasser war kalt und schlammig; wenn man außerhalb der Kinderzone den Fuß hineinsetzte, glitschte man sofort ins Tiefe.
Die Spannung zwischen ihnen löste sich erst, als sie quer über den See geschwommen waren und am gegenüberliegenden Ufer eine kleine Verschnaufpause einlegten.
Corzelius atmete noch etwas heftig. „Ah… Obwohl ich ansonsten kein guter Schwimmer bin – aber mit Ihnen wäre ich bis ans Ende der Welt geschwommen.“
„Da sind wir doch schon.“
Corzelius nickte. „Ja; welch ein Jammer, ich bin Brammer! Dafür kann ich mich aber auch vors Rathaus stellen und laut rufen: Ich bin ein Brammer. Aber was meinen Sie, wie man Kennedy ausgelacht hätte, wenn er bei uns gerufen hätte: Ich bin ein Berliner!“
„Warum ausgelacht?“
„Weil ein Berliner bei uns ein Pfannkuchen ist. Ein Krapfen, auf süddeutsch. Was Schmalzgebackenes.“
„Aha. Und was ist eine Berlinerin?“
„Nun – es kann auch was sehr Süßes sein.“
„Ach ja? Ich kann das nicht so beurteilen, wissen Sie. Ich bin nämlich auch in Bramme geboren.“
„Meine Flamme stammt aus Bramme…“
Da schubste sie ihn ins Wasser.
Sie schwammen ans andere Ufer zurück, spielten Federball und lutschten Vanilleeis, das ein unscheinbares Männchen mißmutig anbot.
„Das ist ein ganz berühmter Mann“, sagte Corzelius.
„Was – dieses Hutzelmännchen da?“
„Ja doch. Sein Name ist Woche für Woche in aller Mund. Hunderttausende schreien ihn voller Begeisterung, sind völlig aus dem Häuschen…“
Katja sah ihn ungläubig an. „Wie heißt er denn nun?“
„Thor – Reinhold Thor.“
Katja seufzte. „Ach so – Sie gehen auf den Fußballplatz… Na, das erklärt wenigstens Ihren niedrigen I. Q.“
Es wurde langsam kühler, und sie setzten sich, da beiden fröstelte, Rücken an Rücken auf Corzelius’ Bademantel. Sonnenuntergang am Brammer Meer; die herbe Landschaft wurde plötzlich zärtlich. Von irgendwoher drangen sentimentale Lieder herüber… unten am Fluß, der Ohio heißt … Sie
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