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Stoer die feinen Leute nicht

Titel: Stoer die feinen Leute nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Bosetzky , -ky
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entgegen. „Wätjen.“
    Katja sagte ihr Verschen auf. „Guten Tag, Herr Wätjen. Mein Name ist Katja Marciniak; ich rufe an im Auftrag der stadtsoziologischen Forschungsgruppe von Professor Biebusch…“ Atemholen. „Sie werden sicherlich gehört haben, daß wir in Bramme eine Untersuchung durchführen, und…“
    „Ja, ja, kommen Sie nur; wir haben nichts zu verbergen.“
    „Ich wollte mir mal die Vereinszeitungen nach 1945 ansehen und mir aus Ihrer Mitgliederkartei ein paar Namen für Intensivinterviews heraussuchen.“
    „Gern. Wir haben nichts zu verbergen – wir sind ja kein Bundesligaverein, ha ha… Wissen Sie, wo wir sitzen?“
    „Im Stadion?“
    „So ist es! Ich hab heute nachmittag Dienst; ich bin beim Werkschutz der BUTH KG… Ich bin bis zwölf da.“
    „Herzlichen Dank. Ich bin gleich bei Ihnen.“
    Katja legte auf. Mal Glück gehabt. Jetzt war’s halb zehn – da konnte sie um elf beim TSV fertig sein und um halb zwölf im Pensionsbett liegen. Am Abend, nach Ladenschluß, wollten sie ja mit Lemmermann nach Bremen fahren; wenn er eine Vertretung bekam, auch schon früher. Halb zwölf – Zeit genug, den entgangenen Schlaf nachzuholen.
    Sie bedankte sich bei Kämenas Sekretärin für die gütige Erlaubnis, unentgeltlich telefonieren zu dürfen, fuhr mit dem Paternoster hinunter und stieg in den Karmann Ghia – ganz Mannequin, ganz verworfenes Dreihundert-Mark-Girl. Die hungrigen Blicke der Brammer Biedermänner waren erfrischend wie ein Bad in der Brandung.
    Auch eine Möglichkeit der Katharsis.
    Eine kurze Zeit am Wall entlang, dann hundert Meter über die Bürgermeister-Büssenschütt-Brücke hinweg, und schon tauchte linker Hand hinter der Bramme das städtische Stadion auf. Vier Flutlichtmasten und eine überdachte Tribüne. Wenn sie sich recht erinnerte, hatte Corzelius gestern etwas von den glorreichen Regionalliga-Zeiten der Brammer Fußballer erzählt. Vielleicht gab es auch einen speziellen TSV-Schrei: Bramme, Bramme, Bramme – vor wie eine Ramme… Corzelius. Heute früh hatte sie gar nicht so richtig…
    Meine Flamme stammt aus Bramme.
    Sie hielt auf dem verwaisten Parkplatz vor den hölzernen Kassenhäuschen. Sie hatte eine weitaus bessere Laune, als sie nach den Ereignissen der vergangenen Nacht eigentlich hätte haben dürfen. Das war aber irgendwie bedenklich. Euphorie ist der Vorbote allen Übels, pflegte ihre Großmutter zu sagen. Die mußte es ja wissen… Gewußt haben.
    Schlaff hing die Fahne des TSV herab. Weit und breit kein Mensch, wenn sie einmal von dem blonden Athleten absah, der seinen Speer an die fünfzig Meter durch die Lüfte segeln ließ. Rote Hose, weißes Hemd mit einem großen TSV drauf – offenbar Brammes Altmeister, denn für ganz neu ging er auch nicht mehr weg. So Anfang Vierzig bestimmt.
    Er kam auf sie zu, den Speer senkrecht in der linken Hand, lächelte leicht linkisch und stellte sich vor.
    „Wätjen… Jens-Uwe Wätjen. Zweiter Vorsitzender des Turn- und Sportvereins Bramme…“
    „…1895 e. V.“, fügte Katja hinzu und drückte ihm die Hand.
    Was für eine Pranke! Was für Augen! Wie der Himmel über Korsika. Er schielte etwas, genau wie… wie Clarence, ja! Clarence der Fernsehlöwe. Und er hatte auch etwas Löwenhaftes an sich. Vielleicht ein Löwe, der Ackerbau und Viehzucht betrieb, aber trotzdem… Und wie schüchtern er war – direkt niedlich! Er wagte nicht mal, ihr in die Augen zu sehen. Puterrot war er geworden: Schweiß perlte ihm von der Stirn. Ach Gott!
    „Darf ich… Wollen wir… das Geschäftszimmer…“
    Wie er sich verhaspelt! „Was immer Sie vorschlagen, Herr Wätjen.“
    Wätjen zeigte auf die Tribüne. „Da hinten in der Tribüne drin… Das Geschäftszimmer. Ich zeig Ihnen alles…“
    „Das ist ganz lieb von Ihnen, Herr Wätjen…“
    Katja ging auf die Tür an der rechten Tribünenseite zu, über der ein schreibtischgroßes weißes Schild mit der Aufschrift TSV BRAMME – Geschäftsstelle hing. Sah ziemlich neu aus. Wätjen folgte ihr, anderthalb Meter seitlich versetzt. Jetzt hielt er den Speer in der rechten Hand.
    Ein paar Spatzen flogen herbei. Die Sonne brannte vom wolkenlosen Himmel. Auf einem der Nebenplätze, durch die wallartigen Ränge verdeckt, spielten Schüler Fußball: sie hörten den dumpfen Bumms, wenn sie die Bälle schlugen, und die Trillerpfeife des Lehrers… Sie drehte sich um.
    Wätjen lächelte ihr zu. „Hier lang…“
    Sie stiegen eine Treppe hinauf, liefen durch endlose

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