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Stoer die feinen Leute nicht

Titel: Stoer die feinen Leute nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Bosetzky , -ky
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befand; sie ging auf brave Hausfrauen zu, begrüßte sie überschwenglich – „Ja, die Frau Ascheregen! Ja, wie geht’s denn?“ – und war nur schwer zu überzeugen, daß hier eine Verwechslung vorliegen müsse; als sie sich dann unter den Rathausarkaden ausruhten, klebte sie mit UHU-plus, das Kuschka zur Reparatur seiner Sandale gekauft hatte, ein Zwei-Mark-Stück neben ihrer Bank fest. Fuß drauf und eine Viertelstunde gewartet. Vom Roland aus war es nachher nett mitanzusehen, wie sich Wermutbrüder, Kommunarden und Rentnerinnen die Fingernägel abbrachen.
    Sie war an diesem späten Nachmittag groß in Form. Kuschka und Frau Haas kannten sie nicht wieder, schrieben es aber Biebuschs Abwesenheit zu.
    Katja sah Lemmermann an. „Wohin fahren Sie denn dies Jahr in Urlaub?“
    „Ich weiß noch nicht.“
    „Fahren Sie nach Sicht!“
    „Sicht…? Ich kenn mich ja ganz gut aus – aber Sicht…?“
    „Muß aber ganz bekannt sein, vor allem wegen des Wetters.“
    „Nie gehört.“
    „Vor dem Reisebüro eben hat wieder eine Frau gesagt: Es ist schönes Wetter in Sicht.“
    So ging es noch ein Weilchen; auch Kuschka und Lemmermann blödelten nach Kräften. Nur Frau Haas fand es unter ihrem intellektuellen Niveau.
    Katja merkte genau, wie albern und überdreht sie war, wie alles ein bißchen aufgesetzt wirkte. Kein Wunder nach dem Schock am Mittag. Jetzt mußte sie’s verdrängen, in eine andere Rolle hineinschlüpfen, Groteskes spielen auf der Bühne einer heilen Welt und ordentlich dem Affen Zucker geben. Nur nicht an die Szene im Stadtpark denken und an das, was ihre Mutter nachher auszuhalten hatte. Weiterblödeln!
    Sie blieb vor einem Zeitungskiosk stehen. „Mensch, das hätte ich dem Kiesinger ja nicht zugetraut!“
    „Was?“ fragte Kuschka.
    „Na, daß der jetzt Berater von Nixon ist.“
    „Das ist doch Henry A. Kissinger!“ sagte Frau Haas belehrend. Mißbilligung in der Stimme.
    „Das kostet Sie ‘ne Lage!“ rief Kuschka, der sich so etwas nie entgehen ließ.
    Wenig später saßen sie in einer Art gehobenen Seemannskneipe und tranken Porter mit Rum, worauf es noch um einige Grade lustiger wurde. Sogar Frau Haas trug mit einer kleinen Anekdote zur allgemeinen Belustigung bei.
    Katja fand, daß Lemmermann – nun vom Schild befreit – trotz aller Fröhlichkeit irgendwie befangen war. Ob er merkte, wie sie ihn ununterbrochen im Auge hatte? Das ist nun mein Vater… Es ging ihr nicht mehr aus dem Kopf; seit sie in Bramme in seinen Wagen gestiegen war, beherrschte dieser Satz ihre Gedanken. Es schien ihr sicher, daß Bernharda recht hatte und dieser Helmut Lemmermann ihr Vater war. Ein sehr ansehnlicher Vater sogar. Der Beweis lag ja auf der Hand: Warum hatte er sie drei zu diesem Trip nach Bremen eingeladen – doch nur, um seine Tochter kennenzulernen, ohne daß es auffiel. Die leicht nach unten gezogenen Mundwinkel – genau wie bei ihr. Sie war ihm keineswegs wie aus dem Gesicht geschnitten, dazu kam sie viel zu sehr nach ihrer Großmutter; aber die leicht gewölbte Stirn hatte sie von ihm, ebenso wie die schlanken Finger und den schreitenden Gang. Sie mochte ihn, sie spürte eine lustvolle Erregung, wenn sie ihn ansah. Ein nachgeholter Elektra-Komplex also?
    Er und ein Sittlichkeitsverbrecher – unmöglich! Sicherlich ein triebstarker Mann, aber das – niemals! Wahrscheinlich hatte ihre Mutter ihn herausgefordert und dann, als sich die Natur nicht mehr unterdrücken ließ, seine Heftigkeit als Notzucht gewertet. Unerfahren, wie sie war. Nachher hatte sie sich dann geschämt, seinen Namen verschwiegen und aus einem tiefen Schuldgefühl über ihre sittliche Verfehlung heraus die Last des unehelichen Kindes auf sich genommen. Wer wollte schon wissen, was sich damals im Stadtpark abgespielt hatte…? Die männerfressende Bernharda bestimmt nicht.
    Sie schlenderten durch Bremen, nutzten den langen Tag. Lemmermann spielte den Fremdenführer, zeigte ihnen Roland, Rathaus und Schütting, St. Petri-Dom, Liebfrauenkirche und Bahnhof, das Haus der Bürgerschaft und die Stadtmusikanten an der Westseite des Rathauses, und führte sie durch die Böttcherstraße und das Schnoorviertel; nur für das Focke-Museum war es zu spät. Besonders die Böttcherstraße gefiel ihr mit dem großen Bronzerelief am Eingang, St. Georgs Kampf mit dem Drachen, ihren Arkaden und Restaurants, dem Robinson-Crusoe-Haus und dem Glockenspiel aus Porzellan, dem historischen Postkasten am Roselius-Haus und… und… und…
    Irgendwie

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