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Stoer die feinen Leute nicht

Titel: Stoer die feinen Leute nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Bosetzky , -ky
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noch einen schönen Abend… Deine Mutter – sie hat’s mir hinterher erzählt – hatte den Bus aber nicht mehr geschafft und war in ihrem Zorn zu Fuß nach Hause gelaufen, immer die Parkallee entlang… Heute sieht’s ja da anders aus, aber damals war’s eine gottverlassene Gegend. Ja, und an der Bismarck-Eiche ist es dann passiert.“
    Katja ahnte, was nun kam.
    „Überfallen und vergewaltigt. Keiner hat sie schreien gehört…“
    Katja schloß die Augen, atmete schwer, sah die Szene vor sich.
    „… im September stand dann fest, daß der Mann sie geschwängert hatte…“
    Das Kind eines Sittlichkeitsverbrechers. Mein Gott!
    „… deine Großmutter war für eine Abtreibung, dein Großvater dagegen. Trotzdem versuchten sie es bei den Ärzten hier in Bramme und Umgebung. Ergebnis: Ablehnung des Antrags; keine echte ärztliche Indikation wegen Gefährdung der Mutter…“
    Katja, eben noch von Schmerz und Abscheu fast überwältigt, wurde von dieser Ironie des Schicksals abgelenkt: Da kämpfte sie mit ihren Freundinnen mit Unterschriften und Appellen für die Aufhebung des Paragraphen 218, für die Fristenlösung – und nun verdankte sie ihr Leben…
    Was kümmert es die Eizelle, auf welche Art und Weise der Samenfaden zu ihr gelangt? – Aber das Mechanistische des Lebens erschütterte sie.
    Um ihrer Mutter willen haßte sie den Mann, der es getan hatte, und die Tat selbst schockierte sie, aber zugleich war sie… Ja: dankbar, daß er… Mein Gott! Sie liebte ihr Leben, bejahte, schöpfte es aus. Und ohne ihn wäre nur ein Nichts, ein unvorstellbares Nicht-Leben ohne Namen.
    „… deine Mutter mußte also das Kind austragen. 1949 bedeutete das immer noch eine Schande für sie und ihre Eltern. Jedenfalls in Bramme. Es blieb ihnen nichts weiter übrig, als von hier fortzuziehen, nach Berlin… Das hat deine Mutter nie überwunden, diese zweite Flucht. Erst die aus Schlesien, der sie ja ihre Tbc verdankte, und dann diese zweite…“
    Katjas Gedanken wurden melodramatisch: Der Mörder meiner Mutter als Erzeuger meines Lebens… Laß das! rief sie sich sofort zur Ordnung, so was gibt’s doch nur in Heftchen-Romanen… „Hat die Polizei nichts unternommen?“
    „Doch. Ohne Erfolg. Der Täter ist nie gefunden worden. Aber es besteht praktisch kein Zweifel daran, daß es einer aus Bramme gewesen ist. Marianne hat ihn nicht erkannt, klar, aber ihrer Aussage zufolge ist er knapp über zwanzig gewesen, müßte also jetzt Mitte Vierzig sein…“
    Vielleicht ist er mir heute begegnet. Oder gestern. Vielleicht…
    Bernharda richtete sich auf, wurde pathetisch: „Darum will ich mit dir reden: du mußt ihn finden! Räche deine Mutter, verhilf der Gerechtigkeit zum Siege…“ Sie lachte schadenfroh: „Was meinst du, was es für einen Aufruhr gibt, wenn du hier zu suchen anfängst. Da kriechen die Ratten in ihre Löcher. Da zerbricht die heile Welt von Bramme. Da können sich mal alle im Spiegel bewundern, wie häßlich sie sind!“
    Das klang so haßerfüllt, daß Katja erschrak. Bernharda mußte durch und durch frustriert sein. Vermutlich wurde sie als Mannweib verspottet, für lesbisch gehalten, mit ihrem Kulturfimmel gehänselt; vielleicht litt sie darunter, daß sie keinen Mann und keine Kinder hatte und daß ihre Volkshochschule, abgesehen vielleicht von Säuglings- und Nähkursen, so wenig Zulauf hatte.
    „… du mußt ihn bloßstellen! Was meinen Sie, wie der zittert, seitdem Sie hier sind.“
    Bei Katja machte es Klick. Sollten die Anschläge auf sie gar nicht der Soziologin Katja Marciniak gelten, sondern… Sie erzählte Bernharda von dem angeblichen Ladendiebstahl, von dem heranbrausenden Wagen, von dem Stein, der durchs Fenster geflogen war, und von dem Anruf am Morgen.
    „Bitte – meine Rede!“ Bernharda triumphierte. „Ich habe der Polizei immer wieder gesagt: Ihr sucht bei den Falschen, bei den Arbeitern und den Landstreichern – Quatsch. Bei den verwahrlosten Jungen der Oberen, der Großkopfeten, da müßt ihr suchen! Bei den Leuten im Parkviertel, wo sie Orgien in den Villen feiern. Was du da sagst, Katja, gibt mir recht: Es ist einer von den oberen Zehntausend gewesen – und jetzt hat er Angst, daß alles rauskommt. Jetzt hat er eine Menge zu verlieren – seinen guten Ruf, seinen Umsatz, seine Frau. Darum die Treibjagd auf dich. Du sollst aus Bramme verschwinden, ehe du ihm auf die Spur kommst – was sag ich: ehe dir einer sagt, was los ist.“
    Das klang plausibel. Ein kleiner Arbeiter

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