Stoer die feinen Leute nicht
hätte sich irgendwo verkrochen und damit basta. Oder sich einen Dreck um das Ganze gekümmert. Strafrechtlich war’s ja wohl längst verjährt.
Bernharda spann ihren Faden weiter: „Es wird ein vermögender Mann sein, wir haben über fünfzig Millionäre in Bramme. Wenn du ihn aufstöberst, hast du ausgesorgt. Ihn finden, ein erbbiologisches Gutachten erzwingen – und die Sache ist gelaufen… Und du wirst ihn finden! Er hat damals Spuren hinterlassen, die du wieder auffrischen kannst, und er hat jetzt Spuren hinterlassen bei seinem Vorgehen gegen dich.“
Doch Katjas Gedanken gingen in eine andere Richtung. Es war Gras über die Sache gewachsen; warum alles wieder aufwühlen, warum Menschen aus ihrer Bahn werfen? 1949; ein junger Mann, im Luftschutzbunker groß geworden, Soldat gewesen und Kriegsgefangener, hatte sich mal vergessen. Sollte sie nun sein Leben zerstören? Zum zweitenmal womöglich? Und das Leben seiner Angehörigen?
Nein!
Schließlich hatte er keinen Mord begangen. Und sie war ja quitt mit ihm. Sie lebte durch ihn – damit schien ihr die Schuld, die er ihrer Mutter gegenüber hatte, aufgewogen.
„Ich werde gar nichts tun“, sagte sie mit fester Stimme. „Soll er selig werden. Ich will ihn nicht kennenlernen. Er weiß mit Sicherheit nicht, daß ich hier bin, daß ich seine Tochter bin.“
Bernharda sprang auf. „Das werden Sie nicht tun! Sie werden ihn suchen!“ Drohend kam sie auf Katja zu.
„Ja, aber…“ Katja bekam es fast mit der Angst; sie wollte diese Walküre ablenken. „Haben Sie einen Verdacht, Frau Behrens?“
„Was heißt Verdacht? Ich weiß, wer es war. Es kann gar kein anderer gewesen sein. Bei seiner Veranlagung… Der hat’s doch bei mir auch versucht – auch mit Gewalt. Und bei anderen auch.“
„Wer denn?“
„Der Besitzer von diesem widerlichen Sex-Shop hier. Ein gewisser Lemmermann.“
Katja fuhr hoch. „Der…!?“
„Ich bin felsenfest überzeugt davon. Den müssen Sie zuerst unter die Lupe nehmen!“
„Den? Ach du lieber Himmel – der doch nicht… Ich hab ihn kennengelernt. Der hat mir doch niemals den Stein ins Zimmer geworfen oder mich mit seinem Wagen anfahren wollen!“
„Ach was!“ Bernharda konterte sofort. „Er ist es gewesen. Er und kein anderer… Sein Vater, der war früher Vorsitzender der Industrie- und Handelskammer hier, einer der einflußreichsten Männer in Bramme, Großimporteur… Als der erfahren hatte, was mit seinem Sohn los war, da hat er doch alle Hebel in Bewegung gesetzt, um die Sache zu vertuschen. Die da oben, die halten doch alle zusammen! Zuerst, da haben sie Lemmermann stundenlang bei der Kripo verhört; er hatte kein richtiges Alibi. Aber sie hätten erleben sollen, wie seine sauberen Freunde für ihn gelogen haben. Plötzlich hatte er eines. Die stecken doch alle unter einer Decke… Und jetzt haben sie Angst, daß alles auffliegt. Dieser Skandal! Unsere Honoratioren waren die längste Zeit welche. Jugendsünden? Denkste! Erledigt sind sie. Da gibt es nämlich Zeugenaussagen, daß Lemmermann nicht allein war, sondern andere dabeigestanden haben. Ihre Mutter hat das verschwiegen, aber… Naja!“
Katja begriff das alles nicht. „Aber man versucht doch alles mögliche, um Lemmermann aus Bramme zu vertreiben? Wo bleibt denn da der Korpsgeist?“
„Korpsgeist?“ Bernhardas Augen leuchteten auf.
„Kind, begreif doch: Die Bande da will ihn loswerden, ehe er gefährlich werden kann, ehe er alles wieder aufrührt, den ganzen Bodensatz an Korruption und… und… Darum will man euch beide loswerden! Loswerden, ehe das Pulverfaß explodiert!“
8
Sie standen auf der Großen Wasserbrücke und blickten in Richtung Hafen. Die vorübergehenden Fußgänger drehten sich nach ihnen um und grinsten. Lemmermann verstand das nicht.
„Als ob die noch nie einen Menschen gesehen hätten!“
Er wußte nicht, daß er hinten am Gürtel seiner Safari-Jacke ein Pappschild mit der Aufschrift trug Vorübergehend außer Betrieb. Katja hatte es an der Tür einer Fernsprechzelle gesehen.
Kuschka zuckte nur die Achseln und blieb ernst, Katja starrte betont uninteressiert zur Martinikirche hinüber, Frau Haas fand es zwar kindisch, sagte aber nichts.
Katja zog heute eine große Schau ab. Sie fragte verdutzte Bürger in einer Phantasiesprache nach dem Jungfernstieg – „Ta komma u brammaro a Jungfernstieg?“ – und ließ sich umständlich auseinandersetzen, daß sie sich hier in Bremen und nicht in Hamburg
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