Stoer die feinen Leute nicht
pfiffiges Kerlchen, dieser Corzelius; der landet noch mal beim Spiegel.“
„Zur Sache, Katja… Weshalb ich anrufe: So schön sie ist, deine Story – sie wird nicht ins Brammer Tageblatt kommen.“
„Wieso denn das?“
„Trey mag dich. Er will nicht, daß die ganze Stadt mit Fingern auf dich zeigt… Außerdem will er vermeiden, daß nach dem Lemmermann-Attentat noch mehr Emotionen aufgerührt werden. Ein bißchen ist für Buth und ihn ganz schön, aber wenn’s überschwappt, dann kann Lankenau sie als Spießer und Pharisäer hinstellen und sagen: Warum ist das so? Doch nur, weil die Gesellschaftsordnung, die ihr verteidigt, von Grund auf faul ist… Darum bremsen sie jetzt und wollen keinen zweiten Skandal.“
Katja nahm es ziemlich gelassen hin; sie hatte eigentlich mit etwas Derartigem gerechnet. „Es wird sich auch so rumsprechen… Vielleicht meldet sich doch der eine oder andere, der mir weiterhelfen könnte.“ Sie ärgerte sich darüber, wie reserviert sie mit Corzelius sprach. Aber sie konnte nicht dagegen ankommen. Er machte sie unsicher. Sie war sich noch immer nicht im klaren, ob sie ihm trauen durfte. „Schönen Tag noch!“
„Moment mal…“ Corzelius sprach ein paar Worte am Hörer vorbei; dann: „Du, ich muß zu Trey. Bis später!“
Sie legte auf. Netter Kerl. Schade, daß sie ihn in Bramme kennengelernt hatte.
Sie war todmüde, kein Wunder, aber sie wußte, daß sie ohne eine starke Dosis Schlaftabletten keine Ruhe finden würde. Es war alles zu aufgewühlt. Sie hatte Schlaftabletten, aber sie fürchtete sich vor ihnen. Nahm sie welche, war sie wehrlos. Nur wenn sie wach blieb, konnte sie reagieren; schlief sie, war sie allem hilflos ausgeliefert. Außerdem, wenn sie das Bett auch nur ansah… Jetzt lag er in einem anderen Bett. Wahrscheinlich hatte er Schmerzen.
Ihr wurde übel; sie schluckte heftig, um den Brechreiz zu unterdrücken. Wie lange ließ sich das noch durchhalten? Sie ließ sich in den Sessel fallen, legte die Beine aufs Bett, lehnte sich weit zurück, bis der Kopf auf der Lehne lag.
Was tun?
Sollte sie kämpfen?
Wer war ihr Vater, wenn es Lemmermann nicht war? Was hatte sie davon, wenn sie ihn kannte? Er war ja nur biologisch ihr Vater, nicht im sozialen Sinne. Konnte sie es eigentlich verantworten, ihn zu finden und bloßzustellen? Wenn er wirklich noch in Bramme lebte, war er erledigt; gleichviel, ob er zu den Honoratioren zählte oder zur Unterschicht. Notzuchtverbrechen toleriert keiner; mögen sie auch Jahrzehnte zurückliegen. Der Mann hatte das Leben ihrer Mutter zerstört, aber ohne seine Schuld gäbe es keine Katja Marciniak.
Sollte sie ihm dankbar sein?
Bernharda Behrens hatte sie aufhetzen wollen. Sie wollte den Skandal, um sich an der Stadt zu rächen, die sie als Mannweib abtat; bestenfalls wollte sie die Freundin rächen. Aber ihr Motiv hieß Rache. Katja fand das legitim und zweifelhaft zugleich.
Was hatte sie davon, wenn sie ihren… Nun ja: Erzeuger fand? Sie konnte Erbansprüche geltend machen, sicher. Aber wenn er nun ein armer Teufel war? Sie konnte einigen Wirbel machen, schön. Aber was hatte sie davon? Die Fragwürdigkeit der bürgerlichen Gesellschaftsordnung brauchte nicht extra bewiesen zu werden. Also…? Nun, sie konnte vielleicht Aufschlüsse darüber gewinnen, warum sie so war, wie sie war. Aber war es nicht besser für sie, wenn da einiges im Dunkeln blieb? Sie konnte der Sache der Gerechtigkeit dienen. Aber war es denn in ihrem Sinn, wenn sie neue Law-and-Order-Geister auf den Plan rief? Sie konnte ihre Mutter rächen. Aber was hatte die davon?
Dennoch…
Was reizte sie also?
Wenn die Attacken auf sie nun doch von diesem Mann ausgingen und nicht von dem Fanatiker, der Lemmermann aufs Korn genommen hatte, diesem Saubermann da? Dann war doch zu vermuten, daß er furchtbar viel zu verlieren hatte, also weit oben stand…
Dann war weitermachen erst recht ein Spiel mit dem Feuer.
Und gerade das, fand sie, gab dem Leben einen Sinn. Mehr Sinn jedenfalls als das Streben nach Diplomen, Posten und Karriere… Ganz abgesehen vom intellektuellen Aspekt des Ganzen, von der Versuchung der Logik, von ihrer Mentalität des Rätsellösers und des Krimilesers: Wie ist die richtige Lösung? Wer ist der Täter? Das war wohl archetypisch am Menschen; er war eben ein homo detectivus.
Ich will ihn sehen. Ich will mit ihm sprechen… Sie wollte ihn nicht erpressen, nicht bloßstellen, nicht strafen; nur kennenlernen wollte sie ihn.
Und da war
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