Stoerfall in Reaktor 1
etwas zu sagen oder zu tun. Und gleichzeitig hat er diese Liste angelegt. Aber wozu? Hat Jannik recht und er will vielleicht wirklich den Energiekonzern damit erpressen? Und dann? Sich absetzen oder was? Eine Insel irgendwo in der Südsee kaufen?
Hannah hat gesagt, dass sie keine Ahnung mehr hat, wem sie überhaupt noch irgendwas glauben soll. Ihrem Vater jedenfalls ganz bestimmt nicht mehr. Aber dass es ihr auch egal sei: »Dann sind sie eben alle dran«, hat sie gesagt. »Alex’ Vater, mein Vater, jeder, der da mit drinhängt. Egal! Wir können jetzt nicht mehr so tun, als ob wir nichts wüssten.« Aber so einfach ist es nicht, denkt Lukas. Jannik hat es gut, sein Vater ist wenigstens »nur« Bauer. Auf jeden Fall ist er nicht in irgendwelche schmutzigen Deals verwickelt. Wenn man davon absieht, dass er seine Wiesen an den Energiekonzern verkauft und damit genug Geld verdient hat, um sich noch mal eben einen eigenen Atombunker leisten zu können … Scheiß doch auf die anderen, solange ich nur mich selber retten kann!
Geht es wirklich immer nur um Geld? Geld und Macht, denkt Lukas. Ein Energiekonzern, der über Leichen geht, um mit einem maroden AKW seine Profite einzufahren, solange es noch möglich ist? Ein Bürgermeister, der unbedingt wiedergewählt werden will, Hannahs Vater, der sich irgendwo ein Nummernkonto anlegen und seinen endgültigen Abgang vorbereiten will? Und sein eigener Vater? Wird er geschmiert, damit er stillhält? Brauchen sie vielleicht mehr Geld, als sie haben, um Karlottas Behandlung bezahlen zu können?
Lukas weiß es nicht. Er weiß nichts! Außer dass er am liebsten irgendwo weit weg wäre, wo er von all dem nichts mehr mitkriegen müsste. Tarzan und Jane im Dschungel. Den ganzen Tag nichts weiter machen, als an Lianen schaukeln und kleine Schimpansen ärgern. Und wenn das zu langweilig wird, mal kurz einen Ritt auf dem nächsten Krokodil wagen. Und abends ein bisschen ums Feuer tanzen. Er wild geschminkt und Hannah mit bunten Papageienfedern im Haar …
Aber Hannah hat recht, das geht jetzt nicht mehr. Genauso wenig wie irgendeine Robinson-Crusoe-Nummer auf einer einsamen Insel. Sie können sich leider auch nicht mehr einfach vor die Glotze hängen und die drei chinesischen Affen geben: Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen.
Hannah hat alle Infos kopiert. Und Lukas wird morgen Kontakt zu dem Zeitungsredakteur aufnehmen, um ein Treffen zu vereinbaren. Hannah ist sich nicht mehr so sicher, ob dieser Gunnar Berger der Richtige für sie ist. »Wir haben jetzt Material, bei dem er vielleicht kneift, weil er Angst um seinen Job hat«, hat sie gesagt. »Oder sein Chefredakteur will sich nicht mit einem Energiekonzern anlegen, der in seiner Zeitung regelmäßig ganzseitige Anzeigen schaltet.« Und Jannik hat noch gemeint: »Wir müssen aufpassen, dass unsere Infos nicht in die falschen Hände gelangen, sonst sehen wir alt aus. Dann lassen sie nämlich alle Beweise ganz schnell verschwinden und wir haben gar nichts mehr!«
Aber Lukas wird trotzdem die Telefonnummer anrufen, die auf der Karte steht. Sie kennen sonst niemanden von irgendeiner Zeitung, Gunnar Berger ist im Moment ihre einzige Chance …
Lukas wird wach, als er seine Eltern nebenan im Badezimmer hört. Er fühlt sich, als hätte er Grippe, aber es hilft nichts, er muss aufstehen. Frühstücken. Mit seiner Mutter und Karlotta in die Stadt fahren. Sich nichts anmerken lassen. Die Daumen drücken, dass Karlotta ihre zweite Chemo gut verkraftet. Als er letzte Woche in der Schule gefragt hat, ob er freibekommt, um seine kleine Schwester ins Krankenhaus zu begleiten, hat er sich fast noch darauf gefreut, dass er mal einen Tag blaumachen kann. Jetzt würde er lieber in die Schule gehen und seine Zeit da absitzen, ohne über irgendetwas nachdenken zu müssen. Und in der Pause vielleicht heimlich mit Hannah hinter der Turnhalle verschwinden, um sie ein bisschen zu küssen. Vielleicht auch nur, um zu wissen, dass es sie gibt. Dass sie da ist. Dass er nicht alleine ist …
Sein Vater sitzt am Küchentisch. Lukas’ Mutter ist noch oben bei Karlotta.
Lukas schiebt eine Scheibe Weißbrot in den Toaster.
»Pass bitte auch auf Sabine auf«, sagt sein Vater. »Vielleicht könnt ihr ja zusammen was essen gehen. Ich denke, dass Karlotta wie beim letzten Mal nach ihrer Behandlung erst mal schlafen wird. Versuch, deine Mutter ein bisschen abzulenken, ja? Wenn was ist, ruft mich an. Ihr wisst ja, wie ihr mich erreichen könnt.« Er sieht
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