Stoerfall in Reaktor 1
wahrscheinlich nicht geben.«
»Komm mal her«, sagt seine Mutter. Als er sich zu ihr beugt, nimmt sie ihn in den Arm. »Ich bin froh, dass ich dich habe, mein Großer. Ich weiß, dass ich mich mehr um dich kümmern müsste, aber im Moment fehlt mir einfach die Kraft dazu. Sei mir nicht böse, ja? Ich mach’s wieder gut, das verspreche ich dir.«
»Ich komme klar«, sagt Lukas nur. »Keine Panik, alles im grünen Bereich.« Wenn es bloß wirklich so wäre, denkt er gleichzeitig. Hoffentlich fängt sie nicht gleich auch noch mit Papa an, dass er sich nicht mit ihm streiten, sondern versuchen soll, ihn auch mal zu verstehen …
»Versuch bitte, mit Papa klarzukommen, ja?«, sagt seine Mutter prompt. »Was war das heute Morgen schon wieder? Worüber habt ihr euch gestritten?«
»Mit Papa kann man nicht streiten, das weißt du selbst am besten. Oder hast du irgendwann schon mal das Gefühl gehabt, dass er überhaupt zuhört, wenn du was sagst? Mal ganz abgesehen davon, dass er sowieso immer recht hat!«
»Das stimmt so nicht, Lukas, und das weißt du auch. Außerdem glaube ich, dass er auf der Arbeit irgendwelche Probleme hat«, setzt sie noch hinzu. »Er hat nichts gesagt, aber …« Sie zuckt mit der Schulter.
»Das glaube ich auch. Dass er Probleme hat, meine ich. Aber soweit ich weiß, zwingt ihn auch keiner, dazubleiben, oder? Wie wär’s denn mit wegziehen? Du kannst doch auch einen Antrag auf Versetzung stellen! Es soll Leute geben, die das schon hingekriegt haben.« Lukas merkt, dass er aggressiver ist, als er eigentlich will. Aber es ist immer dasselbe, denkt er, sie tun so, als wäre nichts an der Situation zu ändern. Das Schicksal hat es leider nicht gut mit ihnen gemeint, aber sie müssen durchhalten bis zum bitteren Ende oder so ein Blödsinn. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann jammern sie einfach immer weiter, aber sie tun nichts dagegen – und genau das wirft Lukas ihnen vor!
»Es ist nicht so einfach, wie du denkst«, sagt seine Mutter. Das hat er auch schon tausend Mal gehört.
»Es ist nie so einfach«, antwortet Lukas. Er muss sich zusammenreißen, um sich nicht weiter aufzuregen. Was ihm nicht leichtfällt, aber hier in diesem Krankenhauszimmer ist nicht der richtige Zeitpunkt. »Hier, ich hab noch was für Karlotta besorgt«, sagt er dann. »Kannst du ihr ja nachher geben, wenn sie aufwacht.« Er legt die Hörbuch- CD , die er auf dem Rückweg vom Irish Pub gekauft hat, auf das Fensterbrett. Wegen des Gesprächs mit Gunnar Berger hat er es dann nicht mehr geschafft, auch noch etwas für Hannah zu kaufen. Aber so wie es aussieht, hat er ja hoffentlich noch mehr Gelegenheiten, ihr etwas schenken zu können …
»Sie wird sich freuen«, sagt seine Mutter lächelnd. »Sag Papa bitte, dass ich ihn nachher anrufe, ja? Und pass auf dich auf!«
Ganz kurz ist Lukas versucht, ihr auch die Zeitung dazulassen. Aber dann denkt er, dass sie den Artikel ohnehin noch früh genug zu Gesicht bekommen wird, spätestens beim nächsten Treffen mit der Selbsthilfegruppe. Und jetzt soll sie sich nicht auch noch über das dummdreiste Geschmiere des Chefredakteurs aufregen müssen. Sie weiß wahrscheinlich selbst, dass sie mit ihrer Gruppe keine Chance hat. Der gestrige Auftritt der beiden Pappkameraden sollte das auch für den Letzten deutlich gemacht haben, der immer noch daran glaubt, dass man mit einem Atomstromkonzern diskutieren kann!
Auf dem Weg zum Fahrstuhl wirft er die Zeitung in einen Mülleimer. Vielleicht muss ich endlich aufhören, meine Eltern vor irgendetwas schützen zu wollen, was sie selbst so entschieden haben, denkt er. Zumindest bei seinem Vater ist jetzt Schluss damit. Er ist nicht Alex. Er zieht das jetzt durch.
Noch im Bus nach Wendburg schreibt er Hannah eine SMS : »Sorry, hab noch was rausgefunden, was du für die Arbeit wissen musst. Ist wichtig! Kannst du heute Abend?«
Als Antwort kommt ein Smiley mit einem Lachmund zurück.
Als er am Marktplatz aussteigt, trifft er zufällig auf Jannik, der in der Tierhandlung neues Futter für sein Aquarium besorgt hat.
»Die Sache läuft«, sagt Lukas. »Morgen nach der Schule kommt der Typ hierher. Treffpunkt ist hinten am Friedhof. Ich geh heute Abend noch mal zu Hannah, damit sie alles auf einen Stick kopiert. Am besten scannen wir den Artikel aus dem Gemeindeblatt gleich noch mit ein und packen ihn dazu. Und mit der Ärztin von meiner Schwester habe ich vorhin auch geredet. Sie hat Schiss, aber ich glaube, man könnte sie so weit
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