Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stoff für viele Leichen

Stoff für viele Leichen

Titel: Stoff für viele Leichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
Vom Netzwerk:
schoß mir durch den Kopf. Ein
ungeheurer Gedanke. Aber seit fünfzehn Jahren ist das Ungeheure alltäglich. Ich
konnte mich nicht beherrschen und platzte heraus: „In die Seine, Sie an ihn
gekettet, wie eine Kugel...Haben Sie vielleicht zufällig etwas nachgeholfen bei
der Verhaftung Ihrer Familie?“
    Sie sah mir ins Gesicht, herausfordernd, voller
Haß, seltsam schön in ihrer Erregung. Mit zitternder Stimme schrie sie:
    „Und wenn es so wäre? Sie haben meine Liebe
zerbrochen, sie haben alles getan, um sich von dem Mann zu trennen, den ich
liebte, sie haben das Kind umgebracht, das ich von diesem Mann erwartete, sie
haben mich verflucht. Es war nur gerecht, daß sie jetzt zu Verfluchten
wurden... Reicht das als Antwort?“
    „Völlig. Weiß Ihr Bruder Bescheid?“
    „Nein. Manchmal wär ich zwar fast dran erstickt.
Aber ich weiß nicht, warum... ich habe nie... Glauben Sie nur nicht, das seien
Gewissensbisse.“
    „Ich glaube gar nichts“, sagte ich müde. „Außer,
daß es bestimmt genau das ist, was man ihm verkaufen will.“
    „Was verkaufen?“
    „Die Beweise für Ihre Denunzierung. Es
existieren sicher Dokumente
    Sie zuckte die Achseln.
    „Warum an ihn verkaufen? Warum nicht an mich?
Logischerweise würde man mich erpressen. Falls es solche Dokumente überhaupt
gibt.“
    „Die Erpresser werden ihre Gründe dafür haben.
Jedenfalls, wenn Ihr Brüderchen es erfährt, wird das Leben für Sie nicht gerade
lustig
    „Es war noch nie lustig.“
    Ich stand auf.
    „Ich muß mit ihm reden“, sagte ich.
    „Mit René?“
    „Ja.“
    „Warum?“
    „Nicht um auszupacken. Seien Sie unbesorgt. Im
Gegenteil. Um das Schlimmste zu verhüten. Ich möchte, daß er mich mit diesem
Fall beauftragt. Ich weiß nicht, ob Sie verstehen, worum’s mir geht?“
    „Vielleicht. Also lassen Sie die Sache nicht
sausen?“
    „Nein.“
    „Na schön, gehen Sie zu ihm. Auf jeden Fall wird
ihm Ihr Besuch unangenehm sein. Immerhin etwas.“
    „Sie sollten sich einen Revolver kaufen.“
    „Warum?“
    „Um ihn zu töten. Sie hassen ihn doch so sehr.
Alles wäre mit einem Schuß zu Ende. Alle wären erlöst.“
    Sie lachte.
    „Genau aus diesem Grund werde ich ihn nicht
töten. Tote leiden nicht mehr! Aber sich ihn in diesem Lager vorstellen, an all
das denken, was er erdulden mußte: Welch ein Rausch! Und dann, ihn jeden Tag
demütigen... Ach! Moreno war einer Lévyberg nicht würdig! Er war keiner von
uns, von unserer Rasse! Wissen Sie, wie man mich hier im Hause nennt? Hyster.
Mademoiselle Hyster. Wundert mich, daß die Lastwagen seiner Spedition mich noch
nicht überrollt haben. Das haut Sie um, was? Ich... “
    Ihre Stimme versagte. Sie unterdrückte ein
Schluchzen. Ihre Augen füllten sich mit Tränen.
    „Sie tun mir leid“, sagte ich.
    Mit wilder Anstrengung bekam sie sich wieder
unter Kontrolle.
    „Behalten Sie Ihr Mitleid. Ich will keins. Von
niemandem. Und ich hab auch keins für René. Darum werd ich ihn nicht töten.“
    „Dann wird er Sie töten.“
    „Nein. Da bin ich unbesorgt. Das würde seinem
Geschäft schaden, seinen Plänen, seinem Ehrgeiz...“
    „Vielleicht zählt das eines Tages nicht mehr,
Geschäfte, Pläne, Ehrgeiz. Der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen bringt.“
    Ich sah, wie der Tropfen dicker wurde, so riesig
wie ein Wasserfall. Und ich war entschlossen, ihn wegzuwischen.
    „Nein“, wiederholte Esther und schüttelte
entschieden den Kopf. Er wird mich nicht töten.“
     
    * * *
     
    „Ich möchte bloß wissen, warum ich Sie
empfange“, schimpfte René Lévyberg und sah mich durch seine flatternden
Augenlider hindurch an.
    Er saß an seinem Schreibtisch, einem schlichten
Möbel, sauber und ordentlich, in der Mitte eine grüne Schreibunterlage mit
vergoldeten Ecken. Ein dicker Füllfederhalter wartete auf der grünen Unterlage
auf das Unterschreiben von Schecks, die aber sicher nicht für mich bestimmt
waren. Auf einem Bürowagen standen ein Telefon, ein Sprechgerät und ein
Aschenbecher. Durch das offene Fenster drang von irgendwoher in dem
geschäftigen Bienenkorb Schreibmaschinengeklapper ins Zimmer.
    Der Gemischtwarenhändler bewegte sich nicht von
seinem Sessel fort, gab mir nicht die Hand, bot mir keinen Platz an. Ich setzte
mich trotzdem. Die Unterhaltung konnte lange dauern.
    „Vielleicht,“ erwiderte ich lächelnd, „weil Sie
alt genug sind, um sich an die Rumeur zu erinnern. Sie wissen doch, die Vertreter der Zeitung gaben eine Visitenkarte
ab, auf der man lesen konnte:

Weitere Kostenlose Bücher