Stoff für viele Leichen
warum?“
Kopfschütteln.
„Keinen blassen Schimmer.“
Wir waren an der Ecke Rue du Croissant
angelangt. Vor diesem Café war 1914 Jaurès umgebracht worden.
„Kommen Sie, trinken wir was. Und Sie erzählen
mir, ob alles klar ist mit unserem Alibi.“
„Alles klar.“
Als wir an der Theke standen, jeder ein Bier vor
sich, erzählte er mir die Geschichte, die er mit dem Patron abgesprochen hatte.
Ich prägte sie mir gut ein, um sie Florimond haarklein zu servieren.
„Ich hab mich also nicht geirrt, hm?“ sagte
Reboul. „War ein Flic.“
„Ein entlassener“, präzisierte ich. „Dolivet
heißt er. Ein komischer Vogel. Hat beim Ausbruch eines gefährlichen Gangsters
etwas nachgeholfen. Wurschtelt jetzt privat weiter, bei einem einigermaßen windigen
Kollegen, der sein Büro im Freudenhaus hat...Ja, mein Lieber, die
Telefonnummer, die Sie aufgeschnappt haben, zentral und so, gehört zu einem
Puff in der Rue de la Lune.“
„Wirklich?“ Mein Mitarbeiter pfiff leise.
„Manche Kollegen haben eben Glück...“
Ernsthafter fügte er hinzu:
„...Dann können wir leicht rauskriegen, wer sein
Chef ist. Noch tolerantere Detektivbüros als die Agentur Fiat Lux gibt’s nicht
gerade wie Sand am Meer.“
„Ja, das müßte leicht sein“, seufzte ich.
Ich betrachtete die vergilbten Fotos von Jaurès,
die zu Ehren des sozialistischen Helden hinter Glas aufbewahrt wurden, zusammen
mit der Ausgabe der Humanité, in der über Villains Mordtat berichtet worden war.
„...Das müßte leicht sein“, wiederholte ich.
„Aber bringt uns das weiter?“
„Weiß ich nicht“, sagte Reboul. „Ich weiß ja
nicht mal, was wir suchen.“
„Eine Stecknadel im Heuhaufen.“
Er grinste:
„Wie üblich.“
„Trotzdem, diesmal hab ich das Gefühl, ich beiß
mir die Zähne aus.“
„Aber, aber! Eine Erpressung, das sind doch
kleine Fische für Sie. Geht doch um ‘ne Erpressung, oder?“
„Nicht so richtig. Lévyberg glaubt, man will ihn
erpressen. Wie alle betuchten Geldsäcke, die einen Skandal fürchten, will er
lieber zahlen. Auch wenn er sich nichts vorzuwerfen hat. Darum hat er nach
mehreren Aufforderungen die vereinbarte Anzeige aufgegeben und sich mit mir
verabredet. Aber in Wirklichkeit geht’s um was anderes.“
„Um was, wenn man fragen darf?“
„Man will ihm Dokumente verkaufen, die beweisen,
daß sein Schwesterchen ein ziemlich mieses Ding gedreht hat. Und ich will vor
ihm an diese Dokumente ran. Eine harte Nuß.“
Reboul riß die Augen weit auf:
„Allerdings. Scheint wohl eine komische
Geschichte zu sein. Also, ich versteh das nicht. Warum erpressen die nicht die
Schwester?“
„Das hab ich mir auch schon überlegt. Die nehmen
sich Lévyberg vor, weil sie mit diesen Dokumenten das Äußerste aus ihm
herausholen wollen. Und ich glaube, die Rechnung geht auf. Ah! Das bringt mich
auf eine Idee. Sie und Zavatter holen Erkundigungen über Lévyberg ein. Seine
Schwester ist nicht objektiv. Er soll in Verhandlungen stehen mit der Méridien. Eine Gruppe von Leuten
will ihn ausstechen. Wenn das stimmt, müssen wir in dieser Richtung
weitersuchen. Verstehen Sie, die wenigen Spuren, die ich bis jetzt habe, führen
alle zu dem möglichen Käufer. Ich spreche jetzt wieder von den Dokumenten. Mich
interessiert der Verkäufer. Der einzige, der mir vielleicht — vielleicht! —
hätte weiterhelfen können, war Lemeunier. Aber Lemeunier...“
Mein Mitarbeiter lachte:
„Hélène hat’s mir erzählt. Sie hatten ihn zum
Frühstück, hm?“
„Kalte Platte, ja.“
„Glauben Sie, für ihn war die Anzeige bestimmt?“
„Keine Ahnung.“
„Aber möglich wär’s?“
„Ja und? Jetzt sagt er nichts mehr.“
Reboul zuckte die Achseln:
„Kann uns ja scheißegal sein, oder?“
„Was?“
„Sein Tod. Möchte sowieso wissen, wie der’s
geschafft hat, so alt zu werden. Und ob Lévyberg ihn umgelegt hat oder ein
anderer...“
„Auch wenn uns das nicht scheißegal wär, tot ist
tot. Aber Lévyberg war’s nicht. Ich war grade bei ihm. Er ist so nervös wie
einer, der erpreßt wird. Mehr nicht. Wenn er das andere dicke Schwein
kaltgemacht hätte, hätte er ‘ne ganz andere Angst. Nein, er war’s nicht.
Lemeunier hatte einen Arbeitsunfall, sozusagen. Nicht sehr nett von ihm, daß er
ihn in dem Augenblick hatte, als ich ihn gebrauchen konnte...“
„Und wenn er diese Dokumente besaß?“
„Dann liegen die immer noch bei ihm rum, obwohl
ich nichts gesehen habe. Allerdings hab ich auch nicht
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