Stoff für viele Leichen
hübsches Kind.
Aber selbst Nestor Burma kann Ihre Frage im Augenblick nicht beantworten.“
Mit ihrem rotlackierten Nagel klopfte sie auf
den Einband der Bonne Nouvelle:
„Ist das alles, was Sie mitgebracht haben?“
„Das ist alles.“
Ein leichtes Lächeln huschte über ihre Lippen.
„Also... äh... keine Akte Lévyberg?“
„Keine Akte Lévyberg.“
Das Lächeln wurde zu einem kristallklaren Lachen
voller Spott. „Herrlich, diese Detektive!“
„Keine voreiligen Schlüsse“, protestierte ich.
„Eine nicht vorhandene Akte Lévyberg beweist noch lange nicht, daß Lévyberg der
Täter ist.“
Ich wußte nicht, ob ich mich darüber freuen
sollte oder nicht, so durcheinander war ich.
„Aber Sie selbst haben doch den unzweifelhaft
bestehenden Zusammenhang zwischen dem Text der Kleinanzeige und dem von
Lemeunier herausgegebenen Revolverblatt hergestellt, oder?“
„Unzweifelhaft ist vielleicht übertrieben. Das
ist mir im Schlaf eingefallen. Sozusagen im Traum.“
„Und daß Lemeunier heute nacht abgemurkst worden
ist... war doch heute nacht, oder?“
„Nach der Totenstarre und ein paar anderen
Indizien zu urteilen, ja.“
„...War das auch ein Traum?“
„Das kann purer Zufall sein. Sie wissen doch,
Hélène, es gibt so was wie Fatalität. Ich wollte nur ein wenig mit Lemeunier
plaudern. Fünf oder sechs Wochen sind es jetzt her, daß ich über meine letzte
Leiche gestolpert bin. Das konnte nicht so weitergehen. Jetzt ist wieder alles
im Lot...“
Ich schüttelte den Kopf und klopfte meine Pfeife
aus.
„...Lévyberg hat doch nicht gleichzeitig
Lemeunier umgebracht, sich mit mir verabredet und einen Flic oder so was
Ähnliches zu dieser Verabredung geschickt. Und er wußte wohl auch nicht genau,
für wen seine Anzeige bestimmt war. Sonst hätte er sich nicht mit mir
verabredet. Übrigens, ich habe vollstes Vertrauen in die Beobachtungsgabe
unseres lieben Reboul, aber zwei sehen mehr als einer. Sie haben doch auch
diesen Kerl gesehen. Sah der wie ein Polyp aus?“
„Ganz genauso.“
Ich schnappte mir das Telefon und wählte die
Nummer der Kripo. Faroux.
„Salut, alter Freund! So langsam reicht’s mir“,
schimpfte ich wie einer, dem’s so langsam reicht.
„Ach ja?“ antwortete der Kommissar. „Und warum?“
„Stimmt was nicht, oder warum schicken Sie mir
Ihre Flics auf den Hals?“
„Versteh ich nicht.“
„Werd’s Ihnen erklären. Gestern abend stand ich
mit Freunden in einem Bistro an der Theke, als...“
Ich erzählte ihm ein kleines Märchen, um einen
Inspektor auftreten zu lassen, der Streit mit mir suchte.
„Hat uns weder seinen Namen genannt noch eine
Marke gezeigt. Wenn der nicht zu eurem Laden gehört, will ich Florimond heißen.
Ziemlich groß, etwas gebeugt...“
Ich gab Rebouls Beschreibung weiter. Faroux am
anderen Ende hüstelte:
„Hm... Beschreiben Sie ihn mir noch mal „Glauben
Sie eigentlich, mir macht das Spaß?“
„Kann man nie wissen!“
„Na gut...“
Ich wiederholte das mit dem grauen Teint, der
gebeugten Haltung und dem ganzen Kram von dem Kerl, den ich nie in meinem Leben
gesehen hatte.
„Interessant“, sagte Faroux. „Und wo war das?“
„Im Bistro gegenüber vom Rex.“
„Und Sie haben den Mann nicht provoziert,
Burma?“
„Nein.“
„Danke für den Tip. Wenn das der ist, den ich
meine, würd ich gern ein Wörtchen mit dem reden.“
„Wenn das der ist, den ich meine“, lachte ich,
„wird das sehr einfach sein. Er ist sicher ganz in Ihrer Nähe.“
„Irrtum, Burma. Das ist kein Flic. Genauer
gesagt, er ist es nicht mehr. Wir haben ihn rausgeworfen. Ein Gangster, den er
bewachen sollte, war unter mehr als zweifelhaften Umständen entwischt.
Wahrscheinlich hat er ihm dabei geholfen. Ich hab Ihnen schon mal davon
erzählt. Péronnet. Erinnern Sie sich?“
„Ja.“
„Möchte wissen, warum Dolivet mit Ihnen Streit
anfangen wollte.“
„Dolivet?“
„So heißt der Ex-Kollege.“
„Ach so. Eigentlich hat er nicht richtig Streit
angefangen. Ist uns einfach nur auf den Wecker gegangen. Hätte er nicht so
ausgesehen wie einer Ihrer Weihnachtsmänner, hätte ich ihn nicht so wichtig
genommen. Schien übrigens etwas besoffen zu sein. Wie wir, haha! ...Freut mich
zu hören, daß das nicht einer Ihrer Scherze war.“
Ich legte auf. Ich hatte eine Information
bekommen, hatte aber auch vielleicht eine Dummheit begangen. Mit diesen Flics
muß man vorsichtig umgehen. Faroux hört die Flöhe husten. Zum Glück hatte ich
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